Bundeskriminalamt (BKA)

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Was bedeutet das? – Praktische Schlussfolgerungen für die Extremismusprävention

Makrosystem

Das Makrosystem ist die übergeordnete Systemebene, die sich nicht unmittelbar auf das Umfeld einer Einzelperson bezieht, „sondern auf allgemeine Prototypen in der Kultur oder Subkultur, die die Muster der Strukturen und Aktivitäten auf dem konkreten Level festlegen".18) Hierunter fallen kulturelle und subkulturelle Normen, Werte und Ideologien, wie sie sich in bestimmten wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und kulturellen Systemen manifestieren und damit auf die Systeme „niedrigerer" Ordnung wieder rückwirken. Mikro-, Meso- und Exosystem stellen so die Manifestation des Makrosystems dar: Die Art und Weise, wie sich unsere Arbeitswelt, unser Ausbildungssystem oder unsere Parteienlandschaft auf der Exosystemebene darstellt, ist Ausdruck entsprechender Wertorientierungen und Gesetze auf der Makrosystemebene. Auf der Makrosystemebene einer Gesellschaft sind die kulturellen und auch subkulturellen Grundmuster angelegt, die die Organisation und das Verhalten auf den untergeordneten Systemebenen steuern. Sie treten explizit in formeller, institutionalisierter Gestalt – etwa in Form von Gesetzen – auf. Vorrangig sind sie jedoch implizit angelegt: Sie sind informeller Natur und stellen in der Regel nicht bewusst reflektierte Weltanschauungen und Werthaltungen der Gesellschaftsmitglieder dar, die sich im Alltagsgeschehen durch entsprechende Gewohnheiten, Routinen und Traditionen eingelebt haben und sich im Verhalten entsprechend einem „Das macht man nicht!" ausdrücken.19)

Die im Innenkreis des grafischen Modells aufgeführte Einflussgröße „extremistische/ terroristische Ideologien" ist theoretisch ebenfalls auf der Makrosystemebene angesiedelt, weshalb in die Abbildung zur Verdeutlichung ein direkter Wechselwirkungspfeil eingetragen ist. Es muss natürlich nicht betont werden, dass derartige Ideologien nur von gesellschaftlichen Teilgruppierungen – nicht aber von der Mehrheit – geteilt und getragen werden. Von besonderer Bedeutung mit Blick auf das Makrosystem sind die Unterschiede und die damit korrespondierenden Wechselwirkungsbezüge zwischen den verschiedenen Wertehorizonten, Normsystemen und Ideologien, die sich in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen – bis hin zu terroristischen Mikrosystemen – in einer Gesellschaft finden lassen. Beispielsweise ist es in Folge der Terroranschläge am 11. September 2001 zu Gesetzesänderungen und – bezogen auf die Exosystemebene – Erweiterungen des Sicherheitsapparates mit Blick auf die Gefahrenabwehr eines islamistisch geprägten Terrorismus sowie zur Auflage umfänglicher entsprechend ausgerichteter Präventionsprogramme in Deutschland gekommen, die eine vielgestaltige Präventionslandschaft auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene haben entstehen lassen (ausführlich: Kap. 6).

Die sich auf der Makrosystemebene abzeichnenden Widersprüche zwischen unterschiedlichen kulturellen Orientierungen, Werte- und Normsystemen sowie Ideologien können als Katalysatoren für die Entwicklung der unterschiedlichen Radikalisierungs- und Extremismusphänomene angesehen werden.

Interaktionsdynamiken „Person – Ideologie – Umfeld": Was wir (nicht) wissen

Gehen wir nun der Frage nach, was das Modell in „Bewegung" bringt, was sozusagen die Entwicklungsdynamik von Radikalisierung treibt. Dies geschieht hier ganz allgemein und eher auf einer theoretisch abstrakten Ebene, ohne hier den differenzierteren Betrachtungen zum individuellen (Kap. 3.3), gruppenbezogenen (Kap 3.2) und dem auf Ebene gesellschaftlicher Großgruppen greifenden Radikalisierungsgeschehen (Kap. 3.1) vorzugreifen.

Betrachten wir das theoretische Modell im Spiegel der Radikalisierungs-/Extremismusforschung überblickartig, so kann auf eine Vielzahl von Befunden zum Einfluss einzelner Systemebenen beziehungsweise Bezugsgrößen des Modells auf das Radikalisierungsgeschehen und die diversen extremistischen Erscheinungsformen zurückgegriffen werden (vgl. hierzu insbesondere: Kap. 3). Misslich – insbesondere mit Blick auf die Gestaltung präventiver Phänomenzugänge – ist jedoch, dass die Forschung bisher nur recht oberflächliche und selten empirisch abgesicherte mehrdimensionale Einblicke in das interaktive Geschehen zwischen den unterschiedlichen Bezugsgrößen des Gesamtsystems vermittelt. Es lässt sich nur schwer ausmachen, inwieweit sich die Einflüsse unterschiedlicher Bezugsgrößen wechselseitig verstärken, moderieren oder gar neutralisieren. Gerade ein vertieftes Wissen über derartige multiple Wechselwirkungsbezüge ist von Bedeutung, um eine gelingende, wirkungsvollere Präventionspraxis zu gestalten.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Extremismus eben kein sich nur auf ein Individuum beschränkendes Phänomen darstellt. Mit Extremismus sind im klassisch-soziologischen Sinne soziale Verhaltensweisen angesprochen, die wiederum auf Verhaltensweisen anderer Akteurinnen und Akteure Bezug nehmen. Problematisch wird es insbesondere dann, wenn ein extremistisches Verhalten in Kriminalität, in Gewalt umschlägt.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

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