Bundeskriminalamt (BKA)

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Sozialräumliche Unterschiede

Aber nicht nur über die Zeit hinweg wandelt sich das Radikalisierungsgeschehen und zeigen die unterschiedlichen Extremismen verschiedenartige Erscheinungsformen. Auch starke geografische sowie sozialräumliche Unterschiede sind ausmachbar: Sowohl zwischen als auch innerhalb von Gesellschaften lassen sich beachtliche Unterschiede hinsichtlich der Erscheinungsbilder von Radikalisierung ausmachen. Nehmen wir beispielsweise das sich um das Migrationsgeschehen in Europa rankende Radikalisierungsgeschehen in Gestalt der sog. Gida-Bewegungen. In Nachbarländern Deutschlands haben sich diese nicht in der Größe entwickelt wie in Deutschland und auch innerhalb Deutschlands beobachten wir große regionalräumliche Unterschiede.9)

Theoretischer Bezugsrahmen – Soziale Kontextstruktur ‚Radikalisierung‘

Um die vielfältige Realität des Radikalisierungsgeschehens und die unterschiedlichen Erscheinungen von Extremismus und Terrorismus abbilden und erfassen zu können, ist ein theoretisches Rahmenmodell mit großer Reichweite notwendig – auch, um es offen zu halten für mögliche neue Phänomenerscheinungen, die sich der Präventionspraxis immer wieder stellen. Ein solches Modell hat im Kern eine soziologische, auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichtete, und psychologische, auf die individuellen Voraussetzungen und Umstände bezogene, Perspektive zu verknüpfen. Nur so werden wir in die Lage versetzt, sowohl kollektive, auf größere gesellschaftliche Teilgruppen bezogene als auch darin eingebettete individuelle Radikalisierungsprozesse zu verstehen und ihnen angemessen präventiv begegnen zu können. Es bedarf eines Modells, das die spezifischen Dynamiken des jeweiligen Radikalisierungsgeschehens nachvollziehbar macht und im Einklang mit dem Forschungsstand „Radikalisierung" als ein multi-kausal bedingtes soziales Phänomen begreift. Theoretische Modelle mit geringer Reichweite, die sich in der Regel auf Teilausschnitte sozialer Realität beziehen, sind nicht in der Lage, die Komplexität des Radikalisierungsgeschehens theoretisch nachvollziehbar und damit handlungspraktisch fassbar zu machen.

Vorgenannten Ansprüchen wird der bereits eingeführte theoretische Ausgangspunkt unseres Modells gerecht – die Ursachen-Trias von Extremismus: Person – Ideologie – Umfeld.10)

Das Zusammenwirken dieser drei Eckpunkte befindet sich in einem fortwährenden dynamischen Prozess und entscheidet über die jeweiligen extremistischen Ausdrucksformen. Damit wird die Berücksichtigung des Wechselwirkungs-Geschehens unverzichtbar für ein tieferes Phänomenverständnis als Grundlage einer angemessenen Präventionspraxis.

Das auf der Ursachen-Trias „Extremismus" aufbauende und im Weiteren näher erklärte Model der "Kontextstruktur Extremismus" ist ein „vortheoretisches" Modell und keine Theorie im klassischen Sinne, weil es keine klassischen theoretischen Aussagen in Gestallt von "Wenn-Dann-Aussagen" enthält. Ein solches Modell wäre dem Gegenstand auch nicht angemessen, denn es gibt keine Bedingungskonstellation, die unweigerlich zu Extremismus führt. Allenfalls gibt es Konstellationen, die Entwicklungen in Richtung eines Extremismus mehr oder weniger wahrscheinlich werden lassen, ohne dies allerdings - mit theoretisch fundierten Gesetzmäßigkeiten unterlegen zu können.

Das Modell stellt eine Erweiterung der Ursachen-Trias dar, indem vor allem die Einflussgröße „Umfeld" differenzierter aufgeschlüsselt wird, um so die vielfältigen potenziellen phänomenrelevanten Einflüsse in den mikro- und makrosozialen Umfeldern einer Person erfassen zu können.

Dies geschieht unter Rückgriff auf Bronfenbrenners (etwa: 1989) Theorie von der „Ökologie menschlicher Entwicklung". Gemäß diesem theoretischen Ansatz vollzieht sich menschliche Entwicklung im Allgemeinen sowie diejenige in Richtung eines Extremismus im Besonderen unter den Bedingungen unterschiedlicher Systeme bzw. Systemebenen, die das soziale Umfeld einer Person bilden. Das soziale Umfeld einer Person bzw. das jeweilige gesellschaftliche sowie kulturelle Umfeld, innerhalb dessen sich Extremismus entwickelt, stellt sich als ein komplexes Gebilde von unterschiedlichen Systemebenen dar.

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Fussnoten

Literatur

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