Bundeskriminalamt (BKA)

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Blicken wir auf die hier gegenständlichen Phänomenfelder, wird geradezu greifbar, welche „Vermittlungsanforderungen" das jeweilige Mesosystem einer Person an diese stellt: Wie vermittelt, wie bewegt sich die Person zwischen den Mikrosystemen der mehr oder weniger abgeschotteten, geheimen Welt extremistisch-terroristischer Gruppierungen und etwaig vorhandenen mikrosystemischen Bezügen zur Normalgesellschaft, wie beispielsweise in der Familie oder Arbeitswelt? Es ist nicht selten zu beobachten, dass mit fortschreitender Integration in extremistisch-terroristische Zirkel und der Übernahme zentraler Positionen mehr und mehr ein Zurückziehen aus gesellschaftlichen Bezügen und ein Abtauchen in den Untergrund zu beobachten sind, um die Identität als Terroristin oder Terrorist zu „schützen", was mehrdeutig gemeint ist: Es gilt, sich einerseits dem polizeilichen Zugriff zu entziehen und andererseits etwaige kognitive Dissonanzen zu minimieren, die aus den widerstreitenden Botschaften der heterogenen Mikrosysteme resultieren könnten, in welche die Person eingebunden ist. Die Person muss beispielsweise zwischen sich widersprechenden Botschaften aus der extremistischen Gruppe und dem Elternhaus vermitteln, wie es sich beispielhaft anhand der Biografen der Linksextremistinnen und -extremisten der 1960er-/1970er-Jahre in Deutschland gut illustrieren lässt. Häufig fungieren extremistische Gruppierungen und deren Sympathisantenmilieus als eine Art Sozialisationsagentur mit dem Effekt eines allmählichen Wegdriftens vom Werte- und Normhorizont (siehe unten: Makrosystem) der (Mehrheits-)Gesellschaft in Richtung alternativer, radikaler – politischer und/oder religiöser – Ideologien und Wertesysteme.15) 16) In einer solchen Situation haben alternative Sichtweisen kaum noch die Chance, von den sich mehr und mehr in extremistisch-terroristische Umfelder zurückziehenden Personen gehört zu werden – ein Ausstieg aus dem Radikalisierungsprozess wird zusehends unwahrscheinlicher.

Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass die Heterogenität des Mesosystems zwischen Akteurinnen und Akteuren unterschiedlicher Extremismusarten deutlich variieren kann. So sind die Wertedifferenzen zwischen extremistischen Gruppen und den Herkunftsfamilien der Mitglieder nicht notwendigerweise ausgeprägt. Beispielsweise beobachten wir im Umfeld separatistischer Bewegungen oder auch im Bereich eines religiös-motivierten Extremismus häufiger Überschneidungen der Wertehorizonte der jeweiligen Herkunftsfamilien und extremistischen Gruppierungen. Demgegenüber finden sich – wie beispielhaft die Biografen der zentralen Akteurinnen und Akteure des sozial-revolutionären RAF-Terrorismus illustrieren – im Bereich des Linksextremismus häufig sehr extreme Wertedifferenzen zwischen den genannten Mikrosystemen (siehe Kap. 2.3).

Exosystem

Das Exosystem stellt sich als eine Art Zusammenballung sozialer Strukturen formeller und auch informeller Art dar, die das Mesosystem einer Person umgeben, denen die Person allerdings nicht selbst angehört. Allerdings berühren die sozialen Strukturen des Exosystems die unmittelbaren Umwelten einer Person oder schließen sie ein und beeinflussen oder diktieren gar die Ablauf- und Aktivitätsmuster in den jeweiligen Mikrosystemen. Hiermit sind größere Institutionen der Gesellschaft gemeint, „wie sie auf einer konkreten lokalen Ebene wirksam werden. Neben anderen Strukturen umfassen sie die Arbeitswelt, die Nachbarschaft, die Massenmedien, Regierungsinstitutionen (kommunal, staatlich und national), die Verteilung von Gütern und Dienstleistungen, das Kommunikations- und Transportnetz und informelle soziale Kanäle",17) wie sie beispielsweise auch über das Internet zugänglich werden. Speziell mit Blick auf das spezifische Phänomenfeld ist hier vor allem auch der Sicherheitsapparat (primär: Polizei, Nachrichtendienste) beziehungsweise – abstrakter formuliert – die Sicherheitsarchitektur einer Gesellschaft angesprochen. Auch fallen hierunter die vielfältigen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteurinnen und Akteure im Bereich der Extremismusprävention.

Es ist offensichtlich, dass die hier angesprochenen gesellschaftlichen Strukturen auf ihre jeweilige Bedeutung für das jeweilig im Präventionsfokus stehende extremistische Umfeld zu betrachten sind – und zwar in zweifacher Hinsicht: Einerseits begrenzen diese Strukturen den Möglichkeitsraum extremistischer Gruppierungen: Auf welche Ressourcen können sie zurückgreifen? Wie stellen sich ihre Kommunikations- und Bewegungsmöglichkeiten dar, um für sich zu werben und Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu rekrutieren? Wie angreifbar, wie beeinflussbar ist das zu verändernde Gesellschaftssystem? Andererseits begrenzt das Exosystem einer Gesellschaft auch deren Möglichkeitsraum, sich gegen extremistische Aktivitäten im Sinne eines umfassenden Bekämpfungsansatzes präventiv und konkret repressiv zu schützen: Wie ist es um den jeweiligen Sicherheitsapparat bestellt? Welche technischen Aufklärungsmöglichkeiten bestehen? Welche Möglichkeiten der „ideologischen" Einflussnahme bestehen? Wie kann extremistischen Propagandaaktivitäten innerhalb und außerhalb des Internets begegnet werden?

Führen wir den Fokus enger auf das Phänomen des Terrorismus, wird die Interaktionsdynamik zwischen den unterschiedlichen Systemebenen besonders deutlich: Ganz allgemein gesprochen, versuchen die aufeinander treffenden Systeme der terroristischen Gruppierungen und der angegriffenen Gesellschaft, jeweils die Schwachstellen des Gegners zunutze zu machen, um – aus Sicht der terroristischen Gruppierung – größtmöglichen Schaden bei möglichst geringer Entdeckenswahrscheinlichkeit zu erzielen, oder um – aus Sicht des angegriffenen Gesellschaftssystems – den terroristischen Gegner dingfest zu machen. Wie der 11. September 2001 drastisch vor Augen geführt hat, verfügen terroristische Gruppierungen – besonders im Falle eines bis zur Selbstaufgabe reichenden terroristischen Willens – über die Möglichkeit, immensen materiellen und immateriellen (politischen, psychologischen) Schaden bei geringstem Mitteleinsatz anzurichten. Demgegenüber garantiert auch ein noch so hoher Ressourceneinsatz einem Gesellschaftssystem keine absolute Sicherheit gegenüber terroristischen Anschlägen.

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Fussnoten

Literatur

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