Bundeskriminalamt (BKA)

Inhalt des Kapitels / Moduls

Entstehung

Das Glossar ist aus dem Seminar „Sprache des politischen Extremismus“ entstanden, das ich im Wintersemester 2017/2018 an der Universität in Koblenz im Anschluss an die Koblenzer Sektionstagung „Kommunikative Praktiken der religiösen Radikalisierung1) durchgeführt habe. In diesem Zusamentstanden der Kontakt mit dem Handbuch der Extremismusprävention und die Idee eines „Glossars” extremistischen Sprachgebrauchs. Im Anschluss an das Seminar hat sich eine Projektgruppe interessierter Studierender gebildet, in der das vorliegende Glossar unter meiner Leitung entstanden ist.

Dabei wurden der Teil zum Rechtsextremismus von Stefan Dünker und Charlotte Roggenbuck, zum Islamismus von Jonas Glitz, Mathias Linn und Lanxin Liu und zum Linksextremismus von Eva Heuft und Suzana Ramaj bearbeitet. Ronja Schilasky hat uns außerdem ihre Hausarbeit zur Verfügung gestellt, in der sie den Diskurs um den G20-Gipfel 2017 in Hamburg aufgearbeitet hat.

Vom Herausgeber wurden Korpusdaten zur Verfügung gestellt, in denen sich die extremistischen Eigengruppen auch als extremistisch zeigen. Hierzu zählen: Propagandavideos, Bekennerschreiben und Manifeste im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägenund Vorbereitungen dazu. So stand uns die vollständige Ausgabe der Interim zur Verfügung. Die Interim ist eine 1988 gegründete Zeitschrift der autonomen Szene, die vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft wird. In dieser Zeitschrift finden sich nicht nur Debatten über Revolten, sondern auch Aufforderungen zum Aufstand mit konkreten Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen. Außerdem wurden in geringem Umfangweitere Korpusdaten erhoben. Alle Angaben sind entweder direkt nach dem Zitatangegeben oder, falls diese aufwendiger zu dokumentieren waren, am Ende eines Abschnitts oder Teilglossars. Fehlen bestimmte Angaben, so handelt es sich um Daten, die direkt vom Herausgeber zur Verfügung gestellt wurden und bei denen keine genaueren Datenangegeben werden konnten. Die Rechtschreibung in den Quellenzitaten wurde nichtangepasst, Normabweichungen in der Schreibung finden sich so im Original der Quelle.

Aufbau

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts sind neue Wörterbuchformate aufgetaucht, auf die sich das hier vorliegende Glossar stützen kann, ohne aber einen Anspruch zu erheben, im Entferntesten an sie heranzureichen. Es handelt sich um die folgenden Wörterbücher:

  • "Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist. Ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch."2)
  • "Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik."3)
  • "Vokabular des Nationalsozialismus."4)

Diese Wörterbücher greifen den Teil des Wortschatzes auf, der nicht mit einfachen Bedeutungsparaphrasenerklärt werden kann, sondern der schwierig zu verstehen und auch zu erklären ist, da er nur im kulturellen Kontext bestimmter gesellschaftlicher Debatten und Diskurse einen Sinn ergibt. Es ist hier nicht der Raum, die Unterschiede dieser monumentalen lexikographischen Werke differenziert darzustellen, sondern sie lediglich als Tradition und Bezugspunkt zu nennen, von denen die vorliegende Darstellung viel proftiert hat. Jeder Eintrag im Glossar ist nach einem ähnlichen Schema wie im Wörterbuch „Brisante Wörter“5) aufgebaut:

  1. Lemma (Stichwort)
  2. Standardbedeutung
  3. Szenebedeutung
  4. Belegbeispiele aus dem Korpus

Lemma (Stichwort)

Das Lemma kann – anders als im klassischen Wörterbuch – nicht nur aus einem Wort, sondern auch aus Wortkombinationen, einem Satz, einem Bild oderkomplexeren Formen bestehen. Dies ergibt sich aus dem linguistischen Konzept von Sinnformeln.6) Zumeist handelt es sich jedoch um Schlüsselwörter, bei denen teilweiseauch minimale grammatische Angaben hinzugefügt werden, wenn dies dem besseren Verständnis dient.

Standardbedeutung:

Hier wird zunächst die Bedeutung verzeichnet, wie sie in der Standardspracheüblich ist. Es geht darum, den begrifflichen Kern zu erfassen und darzustellen (denotative Bedeutung). Falls weitere Kategorien zur Beschreibung notwendig waren,wurden diese angegeben (z.B. ob es sich um ein Hochwertwort handelt).

Szenebedeutung:

"Szenebedeutung" ist kein etablierter linguistischer Begriff und wurde zusammen mit dem Herausgeber für das Handbuch der Extremismusprävention entwickelt: Als Szenebedeutung eines Stichworts soll seine Verwendung und Sinnhaftigkeit innerhalb der jeweiligen extremistischen Eigengruppe verstanden werden. Es handelt sich also um eine Bedeutungsbeschreibung aus Teilnehmerperspektive (emische Perspektive).Um diese Bedeutung zu erfassen, dient vor allem das Sinnformelkonzept.

Belegbeispiele:

Die Bedeutungsbeschreibungen werden durch Beispiele aus dem Korpus belegt, damit die Bedeutung auch in konkreten Sprachgebräuchen überprüft werden kann. Die Anzahl der Beispiele variiert, je nachdem, ob sich dadurch noch bestimmte Bedeutungsfacetten aufzeigen lassen.

Ziele

Angesichts der angeführten zeitlichen und personellen Ressourcen dieses Projekts mussten sowohl die auszuwertenden Datenmengen, also auch der Umfang der lexikographischen Darstellung auf ausgewählte Bereiche und Lemmata, begrenzt werden. Dadurch konnten einige Lemmata nicht aufgenommen werden, obwohl dies inhaltlich naheliegend gewesen wäre. Beispielsweise wäre es sinnvoll gewesen, nicht nur das Lemma „Insurrektionalismus“zu beschreiben, sondern auch die damit eng zusammenhängenden Ausdrücke „Aufstand“und „riot“. Ziel der Auswahl war, die Eigenart extremistischer Sprache, aber auch die Unterschiedeim Sprachgebrauch der einzelnen Ideologien hervortreten zu lassen.

Aus diesem Glossar und seiner Benutzung können natürlich keine kausal wirksamen Präventionsmechanismen abgeleitet werden, allerdings glauben wir, dass seine Lektüre zumehr Sprachbewusstheit führen kann: Extremistische Sprache wird häufig mit verletzender Sprache, Kampfrhetorik und allgemein mit verbaler Gewalt gleichgesetzt. Für den Bereichder Prävention sind allerdings die Bedeutungsverschiebungen von auch in der Alltagssprache geläufigen Ausdrücken relevanter als eine offene Kampfrhetorik. Bei einer Bedeutungsverschiebungwird die Bedeutung durch einen entsprechenden Sprachgebrauchso verändert, dass auch Gewalt als Mittel des politischen Kampfes gerechtfertigt erscheint. Neben einigen in der Alltagssprache unbekannten Stichwörtern finden sich daher auch allgemeinbekannte Ausdrücke, die nun aber eine andere Bedeutung erhalten. Das Glossar extremistischer Sinnformeln kann also helfen, Fragen nach der Bedeutung von Wörtern und Sinnformeln zu stellen,von denen wir dachten, ihre Bedeutung sei doch selbstverständlich. Daher hoffen wir, dass das Glossar von seinen Leserinnen und Lesern auch für den Bereich der Prävention mit Gewinn gelesen werden kann.

Prof. Dr. Wolf-Andreas Liebert

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen

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