Bühne des Kapitels / Moduls
Glossar extremistischer Sinnformeln
Exkurs
- Linksextreme Szene
- Neurechter Extremismus
- Neofaschistische Szene
- Islamistische Szene
Inhalt des Kapitels / Moduls
Allah (arabisch: الله)
Standardbedeutung
Allah ist die arabische Bezeichnung für das höchste transzendente Wesen („der Gott"). Der Islam ist eine monotheistische Religion, das heißt, Allah wird als einziger Gott betrachtet, der im Kontrast zur christlichen Dreifaltigkeit unteilbar ist. Der Begriff Allah wird gleichermaßen von arabischsprachigen Juden und Christen zur Benennung Gottes verwendet, sodass die Bezeichnung auch in arabischen Bibelübersetzungen zu finden ist. In der westlichen Welt wird die Bezeichnung Allah grundsätzlich mit der islamischen Gottesvorstellung in Verbindung gebracht. Der Begriff Allah stellt in seiner Standardbedeutung einen neutralen religiösen Terminus dar. Allah ist für alle Moslems die zentrale Sinnformel zur Begründung ihrer Existenz und des Sinns ihres Daseins. Die religiöse Heimat, die religiöse Gemeinschaft und das religiöse Alltagsleben speisen sich alle aus dem Glauben an und der Verehrung von Allah. Im Islam ist Allah Ausdruck von Barmherzigkeit.
Szenebedeutung
Allah ist in der extremistischen Szene die entscheidende Sinnformel, um ihr gewaltsames Handeln zu legitimieren und ihre terroristischen Handlungen als die Ausführung der Befehle Allahs darzustellen. In der extremistischen Sicht bedeutet Allah so viel wie „oberstes transzendentes Wesen, das Ungläubige (Kuffar) durch Konversion oder Vernichtung bekämpfen will und das Hass und Angriffe auf Ungläubige belohnt, auch mit wundersamen Wohltaten im Jenseits". Die Sinnformel Allah in extremistischer Bedeutung dient auch der Rechtfertigung der Bekämpfung der Demokratie, denn in extremistischer Sichtweise gilt die Scharia (s. Scharia) und deren Einhaltung als unabänderlicher Wille Allahs. Ein extremistisches Verständnis von Allah kann daher keinen Staat akzeptieren, der nicht auf der Grundlage der Scharia organisiert ist. Dies betrifft insbesondere Demokratien, die sich durch eine säkulare Volkssouveränität begründen. Da Demokratien sich durch das Volk und nicht durch Allah konstituieren, besitzen sie für die extremistische Szene weder Legitimität noch rechtliche Gültigkeit. Personen, insbesondere gemäßigte Muslime, die sich gegen diese extremistische Bedeutungsverschiebung von Allah wenden, werden als ungläubig und als Verräter Allahs betrachtet (s. Kāfir).
Belegbeispiele
- „Wir leben hier in einem Land der Nichtmuslime. Und der Kampf gegen den Islam auf der gesamten Welt ist so deutlich wie die Sonne am helllichten Tag. Allah hat bestimmt, dass die Muslime seit je und immer bekämpft werden (…). Und sie werden euch so lange bekämpfen, Allah hat diese Sache nicht zeitlich eingeschränkt, sie werden euch so lange bekämpfen, oh ihr Muslime, bis sie euch von eurer Religion wegbringen. Hast du gehört, was ihr Ziel ist? Allah, er sagt dir, dass ihr Ziel, das Ziel der Kuffar, nur ein einziges ist, uns von der Religion wegzubringen. Das sollte dich eigentlich stolzer machen, dass du weißt, du hast es mit Leuten zu tun, die dich nur hassen, weil du einen edlen Glauben hast, weil du einen wahrhaftigen Glauben hast, weil du einen Glauben besitzt, oh Diener Allahs, auf den die Kuffar neidisch sind“.63)
- "Wie kann Allah dein Herr sein und du machst was anderes, als Allah dir befehlt? Wie kann das sein, oh Diener Allahs? Bist du wirklich ein ergebener Diener? Daher versteht diese Sache, wir verleugnen euch, bis zu dem Tag, an dem ihr an Allah (…) einzig und allein glaubt“.64)
- "An euch Feinde Allah, wo bleiben eure Truppen? Wir können euch kaum erwarten. Vernichte sie, Allah! Lass uns über sie siegen. Nimm von unseren Ehren. Nimm von unsrem Blut." 65)
- "Rache für den Gesandten und für unsre Schwestern, für unsre edlen Bruder und alle Shuhada, Laster voll mit Sprengstoff, liebevoller Abschied, Mutter sei nicht traurig, dein Sohn darf zu Allah!“.66)
- "Schwarze Maskenmänner, […] scharf wie Messer, Köpfe sind am Rollen, wir schlachten für Allah, Gesichter sind verstümmelt, blutverspritzte Wände, Gewinsel und Geheule, der Terror er ist da!“.67)
Allahu akbar (arabisch: الله أكبر)
Standardbedeutung
Allahu akbar ist eine arabische Phrase für „Gott ist groß"/ „Gott ist allmächtig". Diese Formel findet bei Muslimen und auch arabischsprachigen Christen eine alltägliche, regelmäßige Verwendung zu verschiedenen Anlassen. Der Ausdruck Allahu akbar stellt einen Teil des Rufes dar, mit dem ein Muezzin die Gläubigen zum Gebet auffordert. Auch innerhalb von Gebeten verwenden gläubige Muslime die Formel mehrmals. Des Weiteren kann mit dem Ausdruck zudem Dank, Erstaunen, Begeisterung oder Bestürzung ausgedruckt werden. Der Ausdruck wird in ähnlichen Kontexten wie die Formel al-Hamdu li-Llāh verwendet. In ihrer Standardbedeutung steht die Formel Allahu akbar nicht in Verbindung mit Extremismus oder Terrorismus. Mehrere arabische Staaten, darunter Irak, Iran und Afghanistan, haben sie auf ihrer Nationalflagge festgehalten. Für diese Staaten stellt sie also eine Sinnformel ihrer Identität dar.
Szenebedeutung
Aufgrund der seit einigen Jahren bestehenden medialen Präsenz des islamistisch begründeten Extremismus und Terrorismus ist die Formel Allahu akbar vor allem in der westlichen Welt mit Gewalt und Terror konnotiert. Denn islamistisch motivierte Attentäter, insbesondere Selbstmordattentäter, die nach der Gesinnung von Extremisten als Märtyrer verstanden werden, gebrauchen den Ausruf häufig vor oder während ihrer Tat. Mit dem Ausruf dieser Formel wird ein Gewaltakt zu einer Ausführung des göttlichen Willens überhöht. Die Sinnformel Allah hat in der extremistischen Szene eine besondere Bedeutung als Legitimierungsinstanz für Gewalttaten (s. Allah). Durch den Ausruf Allahu akbar werden die Gewalttaten vom Attentäter oder von der Attentäterin nicht nur gerechtfertigt, sondern als höchstmoralisch geadelt, denn sie werden ja im Namen und auf Weisung des höchsten transzendenten Wesens, das im Islam angenommen wird, ausgeführt.
Belegbeispiele
- Es gibt viele Berichte über das Ausrufen von Allahu akbar kurz vor oder während Anschlägen.68)
- Wir verleugnen euch bis zu dem Tag, an dem ihr an Allah (…) einzig und allein glaubt. Wenn ihr aber glaubt, so kommen wir zu euch und wir küssen euch auf die Stirn, obwohl ihr vorher Allah gehasst habt, Allahu akbar“.69)
Al-Walā‘ wa-l-barā‘ (arabisch: الولاء و البراء)
Standardbedeutung
Al-Walā‘ wa-l-barā‘ ist eine Paarformel, die mit „Loyalität und Lossagung" übersetzt werden kann. Gemeint sind die Loyalität zum Herrscher und die Lossagung von ihm, falls er vom Glauben abweichen sollte. In der Alltagssprache von Musliminnen und Muslimen spielt der Ausdruck Al-Walā‘ wa-l-barā‘ keine Rolle. Daher kann auch keine Standardbedeutung angegeben werden. In verschiedenen salafistischen Strömungen ist der Ausdruck jedoch gebräuchlich.70)
Szenebedeutung
Mit Al-Walā‘ wa-l-barā‘ wird ein auf Transzendenz ausgerichtetes Sozialverhalten eingefordert: Freundschaft und Loyalität (walāʾ) sollen ausschließlich zu „wahren" Musliminnen und Muslimen unterhalten werden, während allen anderen Menschen gegenüber Lossagung und Meidung (barāʾ) geübt werden soll. Innerhalb der extremistischen Szene wird die Formel Al-Walā‘ wa-l-barā‘ zu einem stark exkludierenden Loyalitätsgebot. Es bedeutet hier, sich gegenüber „wahren" Musliminnen und Muslimen ausnahmslos loyal zu verhalten und „Ungläubige" nicht nur zu meiden und sich von ihnen zu distanzieren, sondern diese auch unter Anwendung physischer Gewalt zu bekämpfen. Nur wer sich zur extremistischen Konzeption von Allah (s. Allah) bekennt, kann die Bedeutung von Al-Walā‘ wa-l-barā‘ verstehen. Die extremistische Auffassung des Islams versteht diese Sinnformel der Gemeinschaft (s. Umma), in der, egal unter welchen Umstanden, zusammengehalten werden muss, als hartes Selektionsinstrument, das keine Zwischenstufen zulasst: Das extremistische Al-Walā‘ wa-l-barā’ kennt nur die Subjektpositionen Mitkampfer, Feinde oder Verräter. Kontakte zu Personen, die als „Ungläubige" (s. Kāfir) angesehen werden, sind nur gestattet, um diese zu missionieren. Sofern dies erfolglos bleibt, sind diese „Ungläubigen" zu meiden. Die extremistische Bedeutung von Al-Walā‘ wa-l-barā‘ meint eine Loyalität, die sie über das Gesetz demokratischer Staaten stellt: Al-Walā‘ wa-l-barā‘ besitzt eine starke deontische Komponente, eine massive Loyalitätsverpfichtung, die auch gegenüber verurteilten, islamistischen Straftätern zu wahren ist. Dies schließt auch ein, diese zu unterstützen und zu befreien.
Belegbeispiele
- "Meine lieben Geschwister! Wie oft haben wir über das Thema ‚gefangene Muslime‘ gesprochen und gehört? Wie oft haben wir über Al-Walā‘ wa-l-barā‘ gehört? Und leider kümmern wir uns immer noch nicht um die Angelegenheiten der gefangenen Muslime. Es schmerzt zu hören, dass sich nicht um die Familien der Gefangenen gekümmert wird oder nur wenige das tun. Hören wir nicht den Hadith, in dem der Gesandte Allahs sagte: (…) Befreit die Gefangenen“.71)
- "Er hat ihm gesagt: ‚Vallahi, wenn du dich nur einen Schritt naherst, dann werde ich mich mit meinem Cousin (…) vereinen und dich bekampfen, bis wir dich vertreiben. ‘Das ist Al-Walā‘ wa-l-barā‘. Das ist die Liebe fur Allah und der Hass fur Allah“.72)
- Das Feuer ist entzundet, wir werden euch verbrennen, erschlagen und ersticken. Al-Walā‘ wa-l-barā‘. Gekommen, um zu schlachten, beseitigen Kuffar. Bomben fallen auf uns, das starkt unsern Imam“.73)
Jihad (arabisch: جهاد)
Standardbedeutung
Jihad ist die arabische Bezeichnung für Anstrengung, Kampf, Bemühung. Im Islam wird damit die Anstrengung oder der Kampf bezeichnet, den der Weg Gottes beziehungsweise die korrekte Glaubensausübung für jede Muslimin und jeden Muslim darstellt. Dabei wird zwischen al-Jihad al-kabir, dem großen Jihad, und al-Jihad al-saghir, dem kleinen Jihad, differenziert: Der große Jihad bezeichnet das geistig-spirituelle Streben der Musliminnen und Muslime mit dem Ziel, das richtige moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen anzunehmen und ein getreues religiöses Leben zu führen. Der kleine Jihad bezieht sich hingegen auf den gewaltsamen Kampf, also eine kriegerische Auseinandersetzung mit den Feinden des Islams.
Szenebedeutung
Die extremistische Bedeutung von Jihad wird ausschließlich in die kriegerische Auseinandersetzung verschoben. Jihad ist hier Schlüsselwort für die Situationsdefinition („Wir sind im Krieg mit Ungläubigen.") und zugleich Legitimationsformel („Dieser Krieg ist heilig, von Allah gewollt."): Nach extremistischer Auffassung stellt der Jihad die religiöse Legitimation für die gewaltsame Bekämpfung der Ungläubigen, der Kuffar (s. Kāfir), dar. Die Bezeichnung Jihad meint aus extremistischer Sicht den „Heiligen Krieg" beziehungsweise Glaubenskampf, in dessen Namen immer wieder terroristische Anschlage und andere Gewalttaten verübt werden. Die moralische Integrität des gewaltsamen Kriegs im Namen Allahs (s. Allah) wird auch durch das Versprechen unterstutzt, dass der Attentäter in einer transzendenten Welt („Paradies") von Allah belohnt wird. Je schockierender der Anschlag, je mehr Tote, desto größer der Sieg im Jihad und desto größer die Belohnung für den Attentäter im Jenseits. Das Schlüsselwort Jihad wird mit hoher moralischer Integrität aufgeladen und wird nicht als Angriffskrieg verstanden, sondern als eine Verteidigung des eigenen Glaubens. Der Islam ist in dieser Sichtweise durch westliche, demokratische Regierungssysteme bedroht, die den Islam vernichten wollen. Jihad wird dabei wie in vielen Extremismen mit einer historischen Einmaligkeit und Bedeutsamkeit aufgeladen: Jihad ist nach extremistischer Auffassung gleichbedeutend mit „letzter und entscheidender Endkampf zwischen Muslimen und Nichtmuslimen". Die Berufung auf den Jihad stellt ein typisches Instrument extremistischer Propaganda dar. Die gewaltsame Bekämpfung der „Ungläubigen" wird durch diese Bedeutung von Jihad als eine erstrebenswerte Aufgabe und eine Pflicht eines gläubigen Muslims angesehen.
Belegbeispiele
- "Und wie Muhammad alayhi wa salam es gesagt hat, ist tatsächlich der Jihad der Urlaub für uns“.74)
- "Allah hat euch gerufen, kein Weg geht mehr nach draußen, Tank ist voll Benzin, also Bruder gebe Gas, der Nachbar ist ein Kāfir, beleidigt den Gesandten, nimm ein großes Messer, gib ihm sein (…). Bruder sei nicht traurig, aber ich, ich musste gehen. Auch wenn du in Europa bist, mache deinen Jihad. Allah wird dich belohnen, setz den Dreckigen ein Ende“.75)
- "Meine lieben Geschwister, (…) ich lade euch ein zum Jihad (…). Folgt der Karawane, schließt euch der Karawane an, auf dass Allah auch für euch eine von einhundert Stufen für die Mudschahedin vorbereitet“.76)
Kāfir (arabisch: كافر)
Standardbedeutung
Kāfir (Plural: Kuffar) ist die arabische Bezeichnung für Gottesleugner/Ungläubiger.
Szenebedeutung
In der extremistischen Szene werden diejenigen Personen als Kāfir bezeichnet, die nicht deren Glauben und Werte teilen und die ihr Handeln nicht nach der extremistischen Auffassung von Allah und der Scharia ausrichten. Wer sich auch auf Nachfrage nicht zum Islam bekennt, ist ein „Ungläubiger", ein Feind des Islam und kann und soll auch mit Gewalt bekämpft werden. Die Standardbedeutung von Kāfir wird auf diese Weise extremisiert zu „Nichtmuslim, der gehasst und umgebracht werden darf und muss". Kāfir bzw. Kuffar wird somit zum Stigmawort und zur zentralen Alteritätsformel. Durch diese extremistische Bedeutungsverengung kann die Formel des Kāfir zu einer Segregation genutzt werden: Hass und Aggression gegen den als Kāfir Identifizierten, Liebe, Freundschaft und Loyalität für die Mitglieder der extremistischen Szene (s. Al-Walā‘ wa-l-barā‘). Durch die extremistische Zuspitzung werden auch die meisten Musliminnen und Muslime zu kuffar und „Verräterinnen und Verrätern".
Belegbeispiele
- Geschwister kommen ins Gefängnis und manche Brüder sagen: Geschieht ihm recht! (…) Geschieht ihm recht? Geschieht ihm recht, dass er in den Händen der Kuffar fällt und vielleicht sogar verführt wird und von seinem Din abfallen kann? Was geschieht ihm recht? Wünschst du dir das?"77)
- Wie ist deine Haltung gegenüber den Kuffar? Wir verleugnen euch, für uns ganz klar, für uns ist ganz klar, liebe Geschwister, dass jeder, der kein Muslim ist, ein Kāfir ist und dass er, solange er ein Kāfir ist, niemals unsere Liebe erreichen kann. Ich meine die religiöse Liebe. Ich rede nicht von einem Sohn, der seinen Vater liebt auf natürliche Art und Weise, wenn der Vater auch ein Kāfir ist. Ich rede über die religiöse Liebe. Für uns Muslime ist klar, dass wir niemals jemanden lieben dürfen, den Allah (…) nicht liebt“.78)
- "Wenn du nicht die Nichtmuslime vom Islam ausschließt, wenn du die Nichtmuslime nicht zu Kuffar erklärst, bist du selber ein Kāfir“.79)
- "Unser Glaube ist, jeder, der kein Muslim ist, ist ein Kāfir und damit hat er nicht die Liebe von uns verdient, bis er zu Allahs Religion zurückkehrt. (…) Wir verleugnen euch und zwischen uns und euch ist Feindschaft und Hass entstanden, bis zu dem Tag, an dem ihr zu Allah, weil wir nur Allah lieben, weil wir alles lieben, was Allah (…) liebt und weil wir niemals als Muslime etwas tun oder lieben, was Allah nicht liebt. Das ist unsere Religion. Alhamdulillah“.80)
- "Allah hat euch gerufen, kein Weg geht mehr nach draußen, Tank ist voll Benzin, also Bruder gebe Gas, der Nachbar ist ein Kāfir, beleidigt den Gesandten, nimm ein großes Messer, gib ihm sein (…). Bruder sei nicht traurig, aber ich, ich musste gehen. Auch wenn du in Europa bist, mache deinen Jihad. Allah wird dich belohnen, setz den Dreckigen ein Ende“.81)
Paradies
Standardbedeutung
Der Ausdruck Paradies bezeichnet einen Ort, der durch seine Gegebenheiten, seine Schönheit und seine guten Lebensbedingungen die Grundvoraussetzungen für eine schöne, glückliche und friedliche Existenz gewährleistet. Im religiösen Sinne meint Paradies den Aufenthaltsort Gottes, der oftmals mit dem Himmel gleichgesetzt wird, in den die Seligen nach dem Tod aufgenommen werden. Religionen, die eine Paradiesvorstellung besitzen, verfugen auch meist über ein Konzept der „Holle". Das Paradies (oder der Himmel) arbeitet dann wie ein Segregationsapparat: Nur ein „richtiges Leben" im Diesseits führt nach dem Tod in ein paradiesisches Jenseits, andernfalls drohen Höllenqualen. Nach islamischem Verständnis ist das Leben auf der Erde eine Prüfung, deren Ergebnis dann im jenseitigen Paradies/Holle-Urteil erfahren wird. Diese Vorstellung bildet die Grundlage religiöser Ethik und Politik, die Handlungsanweisungen für ein „richtiges Leben" bieten.
Szenebedeutung
Das jenseitige Paradies-oder-Holle-Urteil wird im Extremismus zugespitzt: Allah (s. Allah) prüft nach dem Tod, ob sich jemand dem bewaffneten Kampf im Jihhad (s. Jihad) gegen die Kuffar (s. Kāfir) angeschlossen hat oder nicht. Beim „Jüngsten Gericht" wertet Allah (s. Allah) jeden Menschen hinsichtlich seines (extremistischen) Glaubens und seiner Taten: „Sünder" sind die Feinde (s. Kāfir) und die Verräter (Moslems, die sich nicht den Extremistinnen und Extremisten angeschlossen haben). Sie werden in der „Holle" von Allah bestraft. Die „Frommen" (d. h. extremistische Gewalttäter und ihre Unterstutzer) werden von Allah im Paradies belohnt. Attentäterinnen und Attentäter sowie Terroristinnen und Terroristen sind in der extremistischen Szene die „wahren Gläubigen" und dürfen für ewig in das Paradies, in die „Garten der Wonne" oder in die „Garten von Eden" einziehen. Paradies ist somit nicht nur Legitimitäts- sondern auch Motivationsformel.
Belegbeispiele
- "Wir wollen, dass die Menschen ins Paradies gehen. Wir wollen nicht, dass sie für immer verloren gehen. Wir wollen nicht, dass sie für immer in die Hölle gehen.“82)
- "Er sagt dir und mir: Viele Leute der Schriftbesitzer, Juden und Christen, wollen euch von eurer Religion wegbringen, nachdem Allah euch mit dieser Religion begünstigt hat. (…) Viele Leute der Schriftbesitzer wollen euch von eurer Religion wegbringen, weil es ist das Edelste. Sie wissen es, sie verstehen es und sie wissen, du kommst mit dieser Religion in das Paradies. Sie wissen es. Umso schlimmer, umso schlimmer ist ihr Kampf gegen den Islam“.83)
- "Ist denn der Lohn von einem Gutestuenden nicht nur das Paradies? Und demzufolge, wer Schlechtes macht, so wird er von Allah (…) bestraft werden“.84)
Scharia (arabisch: شريعة)
Standardbedeutung
Unter der Bezeichnung Scharia werden im Islam die religiösen Gesetze und Normen gefasst, die aus dem Koran und der Sunna hervorgehen. Entsprechend bildet die Scharia die konkreten Pflichten und Verbote, die das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft prägen. Die Scharia wird heutzutage unterschiedlich angewandt, je nach Land oder Region unterscheidet sich ihre Ausprägung. In Saudi-Arabien gilt die Scharia beispielsweise noch umfänglich, jedoch wurde sie in der Türkei mit der Verfassung vom 20. April 1924 abgeschafft.
Szenebedeutung
In der extremistischen Szene wird die Bedeutung von Scharia verabsolutiert und dient als Legitimation für das Überschreiten demokratisch-rechtsstaatlicher Praktiken oder für gewaltsames Handeln.85) Die Scharia besitzt in dieser Auffassung eine höhere Legitimation, da sie auf einer islamischen Quelle der Gesetzgebung basiert (Koran als Wort Allahs und Sunna als Auslieferungen des Propheten).Aufgrund ihrer religiösen Legitimation ist sie für Extremisten nicht verhandelbar oder veränderbar und muss von den Muslimen befolgt werden. Im extremistischen Denken muss die Scharia wörtlich und unverfälscht befolgt werden. Was die Ausdrucke „wörtlich“ und „unverfälscht“ bedeuten, darf nur eine festgelegte religiöse Autorität bestimmen, die somit über das alleinige Interpretationsrecht verfügt. Auf diese Weise gibt es nur eine einzige, die „wahre" Lesart, mit der sämtliche Lebensbereiche gegen jeden Widerspruch auch mit Gewalt geregelt werden.
Belegbeispiele
- "Ein Muslim ist, wer Allahs Gesetze ohne Wenn und Aber befolgt. Die Scharia ist unser Gesetz, es bedarf keiner Interpretation und keiner von Menschen gemachten Gesetze“.86)
- "Als Nächstes kommt hoffentlich die Türkei. Wenn die Türkei sich nicht widersetzen, wird die Scharia eingeführt. Ohne Stress und ohne Killen. Und dann geht es weiter ins nächste Land“.87)
Umma (arabisch: أمة)
Standardbedeutung
Das arabische Wort Umma bedeutet übersetzt Volk, Gemeinschaft. Im engeren Sinne meint Umma die religiös fundierte Gemeinschaft der Muslime, unabhängig davon, in welchem Land sie leben.
Szenebedeutung
Auch in der extremistischen Szene bedeutet Umma die Gemeinschaft aller Muslime. Hier kann es allerdings auch mit geographischer Einigung oder Landnahme einhergehen, die durch Gewaltanwendung erreicht werden soll. Da die Mitglieder der Umma in der heutigen Zeit in verschiedenen Staaten beziehungsweise Staatswesen vertreten sind, ist die Umma staatspolitisch nicht repräsentiert. In der extremistischen Szene wird daher eine territoriale und/oder politische Struktur gefordert, die die ursprüngliche Umma zur Zeit des Propheten Mohammeds und ihre Expansionen durch die ihm folgenden Kalifen wiederherstellen soll. Nur so könne nach islamistischer Auffassung der „wahre Islam" seine volle Kraft entfalten. Muslime, die sich nach westlichen Werten richten, gelten dabei als Verräter und Gefahr für die Umma.
Belegbeispiele
- "Die zweite Kategorie von Menschen, die wir in der Umma haben, sind Leute, die was verändern wollen, die Hoffnung haben auf den Sieg von Allah, weil Allah ja auch verspricht (…), es ist unsere Pflicht, den Gläubigen zum Sieg zu verhelfen“.88)
- "Wir Muslime sagen, wir sind alle eine Nation, wir sind eine Umma. Wir nennen uns auf Arabisch eine Umma, eine Nation“.89)
- "Heute schlachten die Kuffar ungescholten unsere Geschwister im Irak ab. Was müssen die Kuffar noch unternehmen, damit wir erkennen, dass sie die muslimische Umma zerstören wollen? Wie lange werden wir noch ruhig zusehen, wie die Kuffar systematisch unsere Gesellschaften zerstören? Haben wir nicht eine Verantwortung vor Allah (s.w.t.), Seinem Gesandten (s.a.w.) und unseren nachfolgenden Generationen? (…) Das Kalifat wird den Islam als eine Lebensordnung implementieren und wird einen rechtmäßigen und engagierten Führer für die muslimische Umma einsetzen.90)
Der Westen, westlich
Standardbedeutung
Die Sinnformeln Der Westen und westlich beziehen sich auf die Staaten in Europa und Nordamerika bzw. ihre gemeinsamen Norm- und Wertevorstellungen. Dazu zählen insbesondere die Burger- und Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit, Toleranz, (weltliche) Rechtsstaatlichkeit und ein weltliches, liberal-demokratisches Staatswesen.
Szenebedeutung
In der extremistischen Szene ist der Ausdruck der Westen extrem negativ konnotiert: Die europäische und nordamerikanische Kultur und Lebensweise stellen das zentrale Feindbild dar, das oftmals auch als das letztlich Bose oder Teuflische identifiziert wird, als Hauptrepräsentant für Ungläubigkeit (s. Kāfir). Westliche Werte werden entschieden abgelehnt, sie dienen als Negativfolie, um einen extremistischen Islam gewaltsam zu etablieren, einen islamischen Staat, in dem die Scharia (s. Scharia) als allgemeingültiges Gesetz akzeptiert wird (s. Umma). Der Westen und westlich stellen damit stigmatisierende Alteritätsformeln dar.
Belegbeispiel
- "Die letzten, die von Gerechtigkeit reden, sind die westlichen Regierungen. Die letzten, die von Menschenrechten reden, sind diese Leute. Alle Kriege auf der ganzen Welt werden von ihnen gesteuert. Alle Probleme, die wir haben, sind von ihnen gesteuert. Sag mir ein Problem, in den letzten 100 Jahren, dass die Amis nicht dabei waren. Sag mir nur ein Land, wo die Amis reingekommen sind und dass sie dieses Land nicht kaputt gemacht haben und zerstört haben“.91)
- Der Westen weiß allzu genau, dass nur der Islam und die Muslime ihre weltweite Unterdrückungs- und Ausbeutungsmaschinerie aufhalten können. (…) So versuchen einerseits in einigen Ländern, wie z.B. dem Irak, mittels ihrer Panzer und Raketen die Muslime zu kontrollieren, während sie anderswo durch das Einführen ihrer falschen politischen Politik, ihrer oberflächlichen Konzepte und ihrer dekadenten Kultur die Muslime verwirren wollen. Ihr Materialismus, Säkularismus, die sogenannten persönlichen Freiheiten und das freizügige Geschlechterverhalten werden überall propagiert, so dass der Islam auf die fünf Säulen reduziert werden soll und niemals eine Rückkehr ins Leben, in die Gesellschaft und auf die Staatsebene erlangen darf.92)