Bühne des Kapitels / Moduls
Glossar extremistischer Sinnformeln
Exkurs
- Linksextreme Szene
- Neurechter Extremismus
- Neofaschistische Szene
- Islamistische Szene
Inhalt des Kapitels / Moduls
Aktion
Standardbedeutung
Aktion bedeutet im Standardsprachgebrauch Unternehmung oder Maßnahme, die gemeinschaftlich geplant sein kann (aber nicht muss). Auch Handeln oder Tätigsein wird imAllgemeinen unter Aktion verstanden.
Szenebedeutung
Im extrem linken Sprachgebrauch wird die Bedeutung von Aktion auf ein „gewalttätiges Vorgehen in politischer Absicht" verengt. Dieses Vorgehen richtet sich gegen die Feindgruppe, die hier als Kapitalismus bzw. kapitalistischer Staat gesehen wird. Als Ziele einer so verstandenen Aktion dienen Dinge, Orte oder Personen, die als repräsentativ für den Kapitalismus angesehen werden. Diese Repräsentativität des konkreten Ziels linker Gewalt muss zugleich mit der Aktion vermittelt werden, um diese zu rechtfertigen. Ziel der Aktion ist es, den „Feind" sichtbar zu machen und zu entlarven, weitere Anhänger zu gewinnen sowie Kampfstärke nach innen zu signalisieren. Die Bedeutung von Aktion umfasst verschiedene Formen von Blockaden, (gewalttätiger) Demonstrationen bis zum Bau von Barrikaden und Anschlägen. Ein herausstechendes Bedeutungsmerkmal des Ausdrucks Aktion ist ihr Zustandekommen: Eine Aktion soll von unten, das heißt aus der außerparlamentarischen, nicht-institutionellen, möglichst auch internationalen Bewegung hervorgebracht werden. Im Fokus steht der Solidaritätsgedanke (s. Solidarität).
Der Ausdruck Aktion bezieht sich auf den Weg zur angestrebten politischen Utopie. Aktion ist jedoch mehr als nur der Weg zum Ziel. Aktion umfasst auch Selbstaufgabe für die politische Sache, Selbsttranszendenz und Außeralltäglichkeit. Aktion nimmt daher unter den linksextremen Sinnformeln eine besondere Stellung ein, so dass Aktion als Identitätsformel angesehen werden kann, die mit politischen Theorien wie der „Politik der Tat" in Verbindung steht.
Belegbeispiele
- Da wir der Meinung sind, dass der Hauptfeind immer noch im eigenen Land steht, richtet sich diese Aktion nicht ausschließlich gegen den Irak-Krieg, sondern gegen imperialistische Kriege im Allgemeinen. (…) Wir sehen unsere Aktion als Fortsetzung der militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel und deren antimilitaristischen Aktionen.7)
- Welche Aktionsformen gab es? a) Zertrümmern, Plündern und Brandstiftung waren die häufgsten Aktionsformen, die die jungen Leute benutzten. (…) b) Es gab Angriffe mit Stöcken, Steinen und Mollies gegen unzählige Banken, Bullenstationen und Bullenautos imganzen Land. (…) c) Es gab hunderte von symbolischen Besetzungen von verschiedenen öffentlichen Gebäuden. Bürgermeisterämter, Bürgerämter, Theater, Radiostationen, Fernsehstationen und andere Gebäude wurden von Gruppen von 50-70 Leuten besetzt. Außerdem gab es viele symbolische Sabotage- und Blockadeaktionen, wie das blockieren von Straßen, Autobahnen, Büros, Metro-Stationen, Bürgerämtern und so weiter, meistens mit dem Verteilen von tausenden von Flugblättern verbunden. d) Jeden Tag gab es stillen Protest, Kunst-Happening und gewaltfreie Aktionen vor dem Parlament und in allen Städten. (…) e) Linke organisierten Konzerte auf öffentlichen Plätzen. (…) f) Die Kommunistische Partei hat kontrollierte Studentinnen Demos organisiert.8)
- Du musst mit den Leuten befreundet sein und ihnen 100% trauen, um irgendwas gefährliches zu planen, du musst dir über alles was in der Welt vorgeht im Klaren sein, informiert sein, um entscheiden zu können, was der entsprechende Verlauf einer Aktion ist, du musst verrückt und begeistert sein, um zu spüren, dass du unglaubliche Dinge tun kannst - du musstbereit sein dein Leben, deine Zeit, deine Jahre in einem Kampf zu geben, der nie enden wird.9)
antifaschistisch, Antifa
Standardbedeutung
Mit antifaschistisch werden Haltungen, Bewegungen und Ideologien, die sich gegen Faschismus und Nationalsozialismus richten, bezeichnet. Mit dem Wort antifaschistisch wird zudem eine generelle und konzeptionelle Gegnerschaft gegen Faschismus und Nationalsozialismus ausgedrückt, die sich insbesondere auf das deutsche Grundgesetz bezieht, das mit Blick auf die deutsche Geschichte auf eine Verhinderung eines Nationalsozialismus und ähnlicher faschistischer Formen politischer Herrschaft angelegt wurde. Für Antifa kann derzeit noch keine Standardbedeutung ausgemacht werden, obwohldieser Ausdruck zunehmend in den öffentlichen Diskurs als Synonym für antifaschistisch oder Antifaschismus eingebracht wird. Derzeit ist der Ausdruck Antifa allerdings noch Szenejargon.
Szenebedeutung
Während sich antifaschistisch in der Standardbedeutung nicht gegen das Grundgesetz richtet und nicht einmal politisch links sein muss, verschiebt sich die Bedeutung im extremlinken Sprachgebrauch. Der Ausdruck antifaschistisch bedeutet dort, dass die im Grundgesetz verankerte Ordnung Faschismus nicht nur nicht verhindern kann, sondern ihn vielmehr aufgrund seiner kapitalistischen Anlage strukturell hervorbringt. Daher heißt hier antifaschistisch zugleich gewaltsame Systembekämpfung – als Systemsturz oder zumindest als Systemstörung. Daher bedeutet antifaschistisch hier nicht nur Kampfgegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremistinnen und -extremisten, sondern immer auch Kampf gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere gegen Angehörige der Sicherheitsbehörden (s. Bullen).
Die Sinnformel antifaschistisch leistet daher sowohl Identitätsbildung (ohne antifaschistische Haltung ist keine (extrem) Linke denkbar), Alteritätszuschreibung (antifaschistischist untrennbar von antikapitalistisch) und Situationsdefinition („Wir leben bereits im Faschismus und daher ist auch der gewaltsame Kampf legitim."). Antifa kann sowohl eine Haltung als auch eine bestimmte Gruppierung (dann häufig als Nominalgruppe „Antifa“+ Ortsbezeichnung) bezeichnen. Wie zentral diese Sinnformel ist, zeigt sich auch darin, dass das Kurzwort Antifa sowohl als Selbstbeschreibung als auch als rechtspopulistische Fremdzuschreibung (in der Suggestion, die einzelnen Antifa-Initiativen seien Teil einer einzigen hochorganisierten, linken Gewaltgruppe) verwendet wird.
Belegbeispiele
- "Enough is Enough. Gegen Nazis, Staat und Kapital. Freiräume schaffen. (…) Antifa-Soli-Party".10)
- " …denn die Strassen gehören uns! Kapitalistische Verhältnisse überwinden! Für die befreite Gesellschaft!" (…) Die Antifaschistische Linke Fürth (ALF) und die Jugendantifa Fürth (JAF) rufen zur antikapitalistischen und antifaschistischen Vorabenddemo zum 1. Mai auf."11)
- "Angriffe auf Hassbrenner wie Schupelius sind so als Akt antifaschistischer Notwehr zu sehen. Ein kleiner Rat an Gunni, schreib lieber Backrezepte: Hasspropaganda wird immer für Gegenfeuer sorgen."12)
Bullen
Standardbedeutung
Das Wort Bulle besitzt viele Bedeutungen, u. a. „männliches Rind" und metaphorisch „starker Mann" (vgl. „bullig"). Umgangssprachlich ist es weit verbreitet und wird abwertend für „Polizist“ gebraucht (wahrscheinlich im 19. Jh. aus dem Rotwelschen entstanden). Die Anrufungeines konkreten Polizisten mit dem Ausdruck Bulle stellt bis auf spezielle Ausnahmefälleeine Beleidigung dar.
Szenebedeutung
Die Bedeutung von Bulle verändert sich im linksextremistischen Sprachgebrauch. So wird auf die Polizei vor allem mit der Pluralform „Bullen“ Bezug genommen. Dadurch wird er zu einem szenebezogenen Pluraletantum, also ein Nomen, das nur in der Mehrzahl benutzt wird. Neue Wortzusammensetzungen sind dennoch möglich (z.B.„Zivi-Greifer-Bullen“, s. u.). Kultursemantisch handelt es sich um eine Ent-Individualisierung,eine Sicht auf Menschen als bloß funktionaler Teil des „kapitalistischen Apparats". Zugleich kann so der abstrakte Kapitalismusbegriff verkörpert werden, ohne dass gleich ein Individuum mit eigener Persönlichkeit, Geschichte etc. damit in Verbindunggebracht wird. Dabei werden in der Regel Erfahrungen körperlicher Gewalt durch Bullen thematisiert, keine Unterstützungshandlungen. Diese stereotype Verwendungsweisehilft, die Polizei kohärent als Feind zu betrachten und stellt damit eine wichtige Orientierung im „Kampf" gegen das „kapitalistische System" dar. Eine Kooperation mit der Polizei wäre in dieser Sichtweise „Verrat". Werden solche Kooperationen auch nur vermutet, werden diese szeneöffentlich angeprangert.
Belegbeispiele
- In der Nacht auf den heutigen Montag haben wir den Kreisposten und die benarchbarte CreditSuisse in Zürich Hottingen mit Farbe, Steinen und Rauch angegriffen. Schon am Nachmittag des 1. Mai mussten einige Zivi-Greifer-Bullen, die KriPo, sowie eine Bank schmerzhaft begreifen, dass es niemals genügend Bullen geben wird um unseren Widerstand zu brechen. Heute nun bekamen die Vertreter von Staat und Kapital einen weiteren Teil unserer Antwort auf ihre Repression. Doch scheiss auf Bullen, Banker und Stadtentwickler! Diese Aktion ist in erster Linie ein feuriger Gruss an all jene, die sich nicht einschüchtem liessen von der erdrückenden blau-schwarzen Präsenz am 1.Mai. An jene die trotz Wasserwerfer, Helikopter und drohender Massenverhaftung auf den Strassen standen, und denen es gelang immer wieder punktuell den Spiess umzudrehen, Besatzer zu Gejagten werden zu lassen und offensive Akzente zu setzen. Das ist der Weg den wir weiter beschreiten müssen und werden!13)
Gentrifizierung
Standardbedeutung
Der Ausdruck kommt aus der Stadtsoziologie und bezeichnet „den Wechsel von einer statusniedrigeren zu einer statushöheren (finanzkräftigeren) Bewohnerschaft, der oft mit einer baulichen Aufwertung, Veränderungen der Eigentümerstruktur und steigenden Mietpreisen einhergeht.“14) Der englische Ausdruck „gentrifcation“ ist im 19. Jahrhundert nachweisbar und wird dort für die damalige Rückkehr des Adels in die Stadt verwendet (englisch „gentry“ bedeutet „niederer Adel“). Die Ursachen der Gentrifizierung sind aus Sicht der Stadtsoziologie vielfältig.
Der Ausdruck Gentrifizierung wird außerhalb der Stadtsoziologie vor allem im linken Diskurs verwendet, wobei die in der Stadtsoziologie angenommenen vielfältigen Ursachen auf eine Ursache (Kapitalismus) reduziert werden. Gentrifizierung erhält dabei eine stark emotionalisierte Bedeutung und dient als sichtbarer und spürbarer Beweis für die Grausamkeit und Kälte des kapitalistischen Systems, in dem sozial schwache Gruppen einer immer weitergehenden Marginalisierung ausgesetzt sind und so in immer prekärere Lebenssituationen geraten. Die deontische Bedeutung von Gentrifizierung lässt sich daher mit „verwerflich" und „muss bekämpft werden" beschreiben. Gentrifizierung ist eine zentrale Sinnformel der gemäßigten Linken geworden und wird zumeist im Zusammenhang mit größeren Immobilieninvestitionen verwendet.
Szenebedeutung
Im linksextremistischen Kontext verschiebt sich die Bedeutung von Gentrifizierung. Hierunter wird nun ein existenzbedrohender Angriff verstanden, gegen den man sich auch mit Gewalt gegen Personen und Sachen zur Wehr setzen muss. Das Feindmodell wird dabei extrem ausgeweitet, so dass nicht nur Immobilienfonds unter Gentrifizierungverdacht fallen und damit potenzielles Ziel von Angriffen werden, sondern selbst linksradikale, alternative Wohnprojekte und letztlich alle, die für das Recht auf Privateigentum eintreten. Linguistisch handelt es sich um eine zeitdiagnostische Sinnformel, die ein Gegenwartsproblem benennt und den Verursacher, das kapitalistische System, in seiner offensichtlichen Böswilligkeit vor Augen führt (Evidenzbeweis).
Belegbeispiele
- „Gentrifizierung – nicht akademisch gedacht – ist der neoliberale Angriff auf Unterschichten, Ausgegrenzte, Illegalisierte, Überflüssige in all ihrer Widersprüchlickeit und gegen alleinerziehende Frauen, Hartz IV-Empfänger_innen, entgarantierte Malocher_ innen, Studies, Rentner_innen mit schmalen Zuwendungen. Gentrifizierung ist die Durchsetzung neoliberaler Vergesellschaftungsmuster auf Kiezebene. Dazu setzt Euch ins Verhältnis anstatt Baugruppen das Wort zu reden. Privateigentum bleibt scheiße– egal ob Baugruppe oder Immobilienfonds. Radikale Gentrifzierungsgegner_Innen gegen Mieterhöhung und Verdrängung, Immer diese Linken (Antwort auf eine Antwort von felS)“.15)
Insurrektionalismus
Standardbedeutung
Insurrektionalismus bedeutet wörtlich „Theorie des Aufstands". Es handelt sich um eine anarcho-sozialistische Konzeption. Danach liegt die Wurzel der Weltprobleme im kapitalistischen System. Im Gegensatz zum Sozialismus, der auf eine Revolution durch die Arbeiterklasse setzt, geht der Insurrektionalismus davon aus, dass sich Anarchismus einerseits als Lebensform in der Gesellschaft zeigen muss, etwa durch das Besetzen von Häusern und das Leben in denselben, und andererseits durch kleinere und größere Unruhen, die auch zu Aufständen werden können. Die zentrale Schrift, die diese Debatte angestoßen hat, ist das zuerst 2007 auf Französisch erschienene Werk „L’insurrection qui vient“. Diese Schrift erschien in deutscher Übersetzung („Der kommende Aufstand“) zuerst als frei zugängliches Internetdokument, später als Buch in der Edition Nautilus.16)
Das Wort ist eine Neu-Entlehnung, wahrscheinlich aus dem Französischen (vgl. Reformgruppe der Reformgruppe Süd-Ost 2009). „Insurrektion“ ist im Deutschen ab dem 18. Jahrhundert nachweisbar und wird heute noch im bildungssprachlichen Kontext verwendet. Die Entlehnung Insurrektionalismus fügt sich in den intellektualistischen und bildungsprachlichen Stil der linken Szene ein, der seit der Roten Armee Fraktion in den 1970er Jahren auch für den Linksextremismus typisch ist. Auch hier findet sich gehäuft der Ausdruck „Insurrektion“.17)
Szenebedeutung
Insurrektionalismus ist ein zentrales Schlüsselwort bei der Wiedererfindung der anarchistischen Linken im 21. Jahrhundert. Eine Sinnformel, die zugleich Identität, Programm und Aufruf zum Aufstand (s. Aktion) beinhaltet und verschiedene Wortbildungen nach sich gezogen hat wie Insurrektionalist, insurrektionell. Eng damit zusammen hängen die Ausdrücke „Aufstand“ und „riot“.
Belegbeispiele
- „Wir brauchen mehr „Autonomia“ im Insurrektionalismus der griechischen anarchistische Bewegung, um sie als Paradigma einer neuen Welle sozialen Lebens aufscheinen zu lassen und diese neue Überlebensstrategie in den Metropolen vorzuführen.“18)
- „Die Träume und Pläne der Insurrektionalist_innen wurden wahr: eine grosse Welle der Beteiligung „überspülte“ die Anarchist_innen, und viele chaotische Tage lang reisten und kämpften Leute in der Stadt wie nie zuvor, existierten in einer unbekannten Art von Zeit und Raum.“ (siehe Fußnote 17)
- „Was uns, hier, angeht, koordinieren wir mit dem Sprengsatz gegen die Direktorin des Männerknastes von Koridallos unsere Angriffe übers internationale Netz der Verschwörung. Den Anstoss gaben unsere Brüder der Insurrektionellen Zelle „Argrou“ in Chile mit ihrem Angriff auf die Nationale Gerängniswärtervereinigung in Santiago am 12. Mai.“19)
- „Was also meinen wir, wenn wir von Aufstand sprechen? (…) Vielleicht ist es so simpel, dass viele der Diskussionen, die in autonomen Kreisen früher darüber geführt wurden, nicht mehr bekannt sind, dass auch die Begriffe, die GenossInnen davon hatten, vergessen wurden. Oder, dass sie zurzeit nur deshalb unter dem Begriff Aufstand die Runde machen, weil diese Debatte in anderen Ländern unter dem Namen des Aufstands, der Insurrektion, angestoßen wurde. (…) Dies geschieht, indem die herrschenden Verhältnisse durcheinander gewirbelt und - zumindest vorübergehend - außer Kraft gesetzt werden: Anweisungen nicht befolgt werden, das Gewaltmonopol nicht greift, Abläufe in Produktion und Transport bewusst unterbrochen werden, das reibungslose Funktionieren der Behörden und Verwaltungen blockiert wird, vor allen Dingen aber: Die ALLGEMEINE DISKUSSION über das »Wie Weiter?« endlich mit allen zusammen begonnen und mit allen Mitteln offen gehalten wird. JUST DO IT!“20
Repression
Standardbedeutung
Der bildungssprachliche Ausdruck Repression bedeutet die Unterdrückung von Kritik, Widerstand, politischen Bewegungen, von individueller Entfaltung oder Bedürfnissen, welche auch gewaltsam vonstattengehen kann.
Szenebedeutung
Repression als linksextremistische Sinnformel bedeutet „aggressiver Unterdrückungsmechanismus des kapitalistischen Staats, bei dem Gewalt zur Notwehr wird". Repression ist also eine wichtige legitimierende Sinnformel, die Gewalt begründet. Durch diese Sinnformel wird Gewalt als Reaktion auf eine Form von Unterdrückung gesehen und damit immer bis zu einem bestimmten Grad nicht nur legitimiert, sondern sogar eingefordert. Repression kann zudem als Teil einer Verschwörungstheorie verstanden werden, in der sich eine linksextremistische Position und der kapitalistische Staat gegenüberstehen. Der Staat ist dabei kein autonomer Akteur, sondern nur Marionette eines globalen, finanzkapitalistischen Netzwerks, das „letztlich die Fäden zieht" (Monokausalität). Repression ist in vielen Wortbildungen wiederzufinden: „Repressionsorgane“ oder „Repressionsarsenal“ umfassen insbesondere den Staat und seine Organe wie „Bullen-/Sondereinheiten“ (s. Bullen), „Knäste“, „bürgerliche Rechtsprechung“ und werden als „Verfolgungs- und Bestrafungsapparate“ verstanden. Hier zeichnet sich ein identitätsstiftendes Opfernarrativ ab: Linke Gruppierungen werden Opfer von Repression u. a. in Form von polizeilicher Gewalt, wogegen linksextremistische Gewalt legitim ist. Dabei geht es nicht um strafbare Polizeigewalt, sondern um die geltende Rechtsordnung: „Sie muss aufgelöst werden“ (s. u.).
Das Nichtanerkennen des staatlichen Gewaltmonopols wird im linksextremistischen Verständnis mit dem höheren Ziel (Kampf für die unterdrückte Bevölkerung/Arbeiterschaft) legitimiert. Repression ist dadurch auch Teil einer Selbstimmunisierung, denn die (nach geltender Rechtsordnung legitimierte) staatliche Gewalt, auch in Form von Verurteilungen, ist augenfälliger Beweis für die grundsätzliche Repression.
Belegbeispiele
- Der Staat hat sein Repressionsarsenal und seinen Repressionswillen in seiner ganzen Bedrohlichkeit zur Schau gestellt und in verschiedensten Situationen brutal zum Einsatz gebracht. Bullen- und Sondereinheiten führten mehrmals täglich Körper- und Taschenkontrollen durch, ließen Demonstrierende im Spalier laufen, prügelten, beleidigten und sperrten Leute in Guantanamo ähnlichen Käfigen ein. Sie verletzten mit Knüppeln, Wasserwerfern, Gas und Pfefferspray, schränkten die Bewegungsfreiheit ein, legten Züge und Busse lahm und erfassten massenhaft persönliche Daten.21)
- Seit längerem ist die immer schärfer werdende Repression gegen linksradikale AktivistInnen zu beobachten. Neuseeland, Griechenland, Spanien, Frankreich… und auch hier, immer wieder werden Leute mit dem Vorwurf Terroristen zu sein, mit Prozessen überzogen und in Knäste gesteckt.22)
- In einer freien Assoziation emanzipierter Individuen bleibt kein Platz für eine Gruppe von Menschen, welche per Berufsbeschreibung in ihrem täglichen Handeln Macht und Gewalt über Andere ausüben. Gerade zu den hierarchisch verformten, repressiven und inhumanen Verfolgungs- und Bestrafungsapparaten der Gegenwart müssen emanzipative Alternativen ersonnen werden. Die jetzige Kontrollstruktur, gewoben u.a. aus Polizei und bürgerlicher Rechtsprechung, darf nicht ersetzt, sie muss aufgelöst werden. Auf dem langen Weg hin zu diesem Ziel werden AktivistInnen der sozialen Bewegungen, bei der Äußerung von Protest und radikaler Ablehnung, stets mit menschgewordener Repression in Form von PolizeibeamtInnen konfrontiert werden.23)
Solidarität
Standardbedeutung
Solidarität ist ein Wort mit starker Appellbedeutung, eine Aufforderung, zusammenzuhalten und dabei auch Interessensunterschiede zugunsten des Gemeinsamen zurückzustellen.
Das Wort Solidarität ist eng mit der Geschichte der Arbeiterbewegung im 19. und 20. Jahrhundert verbunden und meint hier, Klassenunterschiede bzw. den Gegensatz von Arbeit und Kapital in den Vordergrund zu rücken, damit die Arbeiterklasse auch ohne eigene Produktionsmittel den Kampf gegen die Kapitalistenklasse führen und gewinnen kann. Solidarität wird hier also zur zentralen Ressource im Kampf und wird daher manchmal auch als „Waffe“ bezeichnet.
Szenebedeutung
Die linksextremistische Bedeutung von Solidarität ist hochgradig selektiv und wird gegenüber von einem Gericht verurteilten Mitkämpfern ausgesprochen oder gegenüber der guten, aber unterdrückten Mehrheit. Diese zu befreiende Mehrheit soll durch Solidaritätsbekundungen und -aktionen für die extremistische Sache gewonnen werden. Nachdem die Konturen der Arbeiterklasse in einer veränderten Industrielandschaft im 20. Jahrhundert unklarer geworden sind und diese auch nicht unbedingt für einen gewaltsamen Umsturz gewonnen werden können, wird zunehmend Solidarität mit marginalisierten Gruppen geübt. Solidarität wird dabei gezeigt durch Bekundungen, Demonstrationen oder auch Anschläge (s. Aktion). Solidarität ist eine instrumentale Sinnformel: Sie ist das zentrale Wort dafür, auf welche Weise der Kampf zur Errichtung der eigenen politischen Utopie gewonnen werden soll. Dabei werden insbesondere verurteilte Gewalttäter eingeschlossen, denn deren Taten werden als legitimer politischer Kampf und ihre Verurteilung als nicht rechtens angesehen.
Belegbeispiel
- Nur mit unserer organisierten Solidarität können wir die Kraft entwickeln, die notwendig ist, um diese Probleme zu bekämpfen und zu überwinden.24)
- Unsere Solidarität kennt keine Grenzen, konzentrieren wir uns auf das Wesentliche!!! In diesem Sinne viele Grüße, Kraft und Ausdauer für die momentan in Aachen angeklagten Gabriel, Bart, José und Begofa! Solidarität mit den Betroffenen der Repressionswelle in Baden-Württemberg und den §129 StGB-Kriminalisierten in Hamburg! Solidarität mit den 1. Mai-Verurteilten und allen Gefangenen in europäischer Abschiebehaft! Solidarität mit den GenossInnen von Libertad!, die auf Grund einer Online-Demonstration gegen die Abschiebepraxis der Lufthansa kriminalisiert werden! Solidarität mit Thomas Meyer-Falk, Rainer Diettrich, Birgit Hogefeld, Eva Haule, Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und den Verurteilten aus angeblichen RZ-Zusammenhängen! (…) Solidarität mit den baskischen GenossInnen, die dieses Jahr unter zahlreichen Massenprozessen zu leiden haben! Solidarität mit den Gefangenen der Action Directe in Frankreichen und den GenossInnen des 17. November und der ELA in Griechenland.-Grüße und Solidarität auch an alle türkischen und kurdischen GenossInnen, die nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland einer enorm starken Repression ausgesetzt sind!25)
- „Solidarität ist wirklich eine Waffe!“26)
- „Als Ausdruck unserer aktiven Solidarität mit den Gefangenen des G20 in Hamburg, als Gruß an Lisa in der JVA Köln wegen vermeintlichem Bankraub, als Gruß an Nero in der JVA Moabit wegen angeblichem Hubschrauber blenden und für alle Gefangenen des sozialen Krieges, haben wir am 3. Oktober in der Trautenaustraße in Wilmersdorf die Scheiben der dortigen Filiale des BWK eingeschlagen und gleich auch die des gegenüber liegenden SPD Büros.“27)
Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul
Fussnoten
1)
Hagmann/Kotthoff/Liebert/Potysch 2017.
2)
Strauß/Haß/Harras 1989.
3)
Stötzel/Wengeler 1995.
4)
Schmitz-Berning 2007.
5)
Ebd.
6)
Geideck/Liebert 2003.
7)
Interim 658, 6.
8)
Interim 685, 9-10.
9)
Ebd., 15.
10)
Interim 699, 8.
11)
Interim 709, 10.
12)
Interim 759, 27.
13)
Interim 740, 5.
14)
Difu 2011.
15)
Interim 699, 27.
16)
Unsichtbares Komitee 2010.
17)
Bakker/Schut 1987, 246; Rosenberg 1977, passim.
18)
ratz collective 2009.
19)
Interim 753, 31.
20)
Interim 699, 21-21/2.
21)
Interim 658, 20.
22)
Interim 686, 26.
23)
Interim 701, 21.
24)
Interim, 737, 19.
25)
Interim 614, 13.
26)
Interim 686, 21.
27)
Interim 790, 33.
28)
Identitäre Bewegung Deutschland a.
29)
Identitäre Bewegung Deutschland b.
30)
Identitäre Bewegung Deutschland 2016.
31)
Komplott: Europa.
32)
Fjordman 2011.
33)
public intelligence 2011.
34)
Identitäre Bewegung c.
35)
EinProzent. Deutschlands größtes patriotisches Bürgernetzwerk.
36)
public intelligence 2011, 1.321.
37)
Ebd., 1.400.
38)
Identitäre Bewegung Deutschland d.
39)
NSChrist 2016b, 00:01:58-00:02:17.
40)
Ebd., 00:10:20-00:10:40.
41)
Kommentar von Max Maverick.
42)
Kommentar von Fackel322.
43)
NSChrist 2016a.44 NSChrist 2016b, 00:11:41-00:12:13.
45)
NSChrist 2016a, 00:05:04-00:05:21.
46)
Kommentar von Hugo Iopu.
47)
Kommentar von Max Mustermann.
48)
Kommentar von LillyMai.
49)
Kommentar von boakonstrukteur.
50)
Kommentar von Sturmgeist.
51)
NSChrist: NS Botschaft der Berufung durch den HERRN a.
52)
NSChrist: NS Botschaft der Berufung durch den HERRN b.
53)
Kommentar von Zambac1.
54)
NSChrist: Die geheime Welt der Neonazis.
55)
NSChrist 2016b, 00:14:35.
56)
Kommentar von Speerschiff.
57)
Kommentar von Thomas Press.
58)
Kommentar von Erhardt Klaus.
59)
Kommentar von Luca Wolf.
60)
NSChrist: ISISrael.
61)
Kommentar von isran6.
62)
Kommentar von Heinz-Juergen Pucher.
63)
As-Sirat Berlin 2016a.
64)
As-Sirat Berlin 2016b.
65)
Alhayat Media Center, 00:08-00:19.
66)
Ebd., 01:33-01:44.
67)
Ebd., 01:02-01:12.
68)
Rother 2017.
69)
As-Sirat Berlin 2016a.
70)
Damir-Geilsdorf et al.
71)
Wacht Auf! 2016, 00:34-01:05.
72)
Ebd., 02:54-03:09.
73)
Alhayat Media Center, 00:51-01:02.
74)
Mahmoud 2015.
75)
Alhayat Media Center, 01:55-02:12.
76)
IS-Propaganda-Video ohne Vf. (o. J.).
77)
Wacht Auf! 2016, 1:45-02:02.
78)
As-Sirat Berlin 2016a.
79)
Ebd.
80)
Ebd.
81)
Alhayat Media Center, 01:55-02:12.
82)
Lau 2010.
83)
As-Sirat Berlin 2016a.
84)
Ebd.
85)
LTO 2019.
86)
Kazim 2014.
87)
Delhaes/Obermaier 2014.
88)
Habibifo Dawah Production 2016.
89)
Im Auftrag des Islam TV 2016.
90)
Kalifat.com 2015.
91)
FlaggeDerSunna 2016.
92)
Kalifat.com, o. V. 2015.