Bühne des Kapitels / Moduls
Glossar extremistischer Sinnformeln
Exkurs
- Linksextreme Szene
- Neurechter Extremismus
- Neofaschistische Szene
- Islamistische Szene
Inhalt des Kapitels / Moduls
Ethnopluralismus
Standardbedeutung
Das Kompositum Ethnopluralismus ist vor Einführung durch die Neue Rechte in den 1990er Jahren in den gängigen Referenzkorpora der deutschen Sprache nicht nachweisbar. Ethnopluralismus stellt vermutlich eine Neubildung im Deutschen über eine Entlehnung aus dem Französischen dar. Eine Standardbedeutung existiert daher nicht.
Szenebedeutung
Der Ausdruck Ethnopluralismus ist Teil einer neurechten Ideologie, die versucht, ohne Elemente des deutschen Nationalsozialismus auszukommen und die im Anschluss an Alain de Benoist eine „konservative Kulturrevolution" einläuten will. Im Ausdruck Ethnopluralismus kommt das Wort Rasse zwar nicht vor, jedoch verbirgt sich hinter dem Präfixoid „Ethno-“ ein rassistischer Volksbegriff (s. Volk, Nation). Dadurch kann im Ethnopluralismus der gleiche Ausgrenzungsmechanismus wie im herkömmlichen Rassismus in Gang gesetzt werden, ohne dass der Vorwurf des Rassismus sofort greift. Vor dem Rassismusvorwurf schützen auch die akademische Latinisierung und der Einbezug des Hochwertworts Pluralismus. Pluralismus bedeutet zunächst eine Vielfalt von Akteuren, Kräften oder Strömungen. Das Präfixoid Ethno- steht zunächst allgemein für „Volksgruppe" (z. B. in Ethnie, Ethnologie oder Ethnolekt). Insbesondere der Pluralismusbegriff wird umgedeutet: Ethnopluralismus in der Neuen Rechten bedeutet in etwa: „Für die Vielfalt der Völker, solange und nur solange sie getrennt sind". Wie im faschistischen Reinheitsdenken soll die „eigene Kultur" von „fremden Einflüssen" „reingehalten" werden, weshalb spezifischen Kulturen auch spezifische Räume, Kulturräume, zugeteilt werden. Die Grenzen zwischen diesen Räumen müssen eingehalten werden, ein Austausch unter den Kulturen würde zu einem „ethnischen Zusammenbruch" führen (s. Der Große Austausch). Diese legitimierende Sinnformel nimmt den Status eines universalen Menschenrechts ein: Aus dem Recht jeder „Ethnie", ihre „Identität zu bewahren", wird ein Widerstandsrecht abgeleitet (s. Reconquista), wobei das Bedrohungsszenario für die „kulturelle Identität" der jeweiligen europäischen Nation (z. B. für ‚die Deutschen‘) durch einen Vergleich mit der kolonialen Unterdrückung und der Auslöschung indigener Völker ins Extreme gesteigert wird (dafür wird sogar der Ausdruck Genozid, z. B. als white genocide, herangezogen).
Belegbeispiele
- „Unter Ethnopluralismus verstehen wir die Vielfalt der Völker, wie sie sich über Jahrtausende entwickelt hat. Wir setzen diesen Begriff bewusst als positiven Gegenentwurf zur heutigen One-World-Doktrin ein, um zu verdeutlichen, dass eine rücksichtslose globalistische Entgrenzung diese Vielfalt bedroht. Es gibt ein Recht auf Verschiedenheit. Jede Ethnie hat das Recht, ihre Kultur, ihre Bräuche und Traditionen, also ihre ethnokulturelle Identität, zu erhalten. Wir treten für diesen Erhalt ein, hierzulande und in der Welt. Immer wieder wird der Begriff Ethnopluralismus fälschlicherweise als weltweite Apartheit ausgelegt. Das ist ungefähr so richtig, als wenn man den amerikanischen Ureinwohnern Rassismus vorwerfen wollte, weil sie sich gegen die Landnahme der Europäer wehrten. Ethnopluralismus bedeutet lediglich: bewahren, nicht zerstören; Unterschiede wertschätzen, nicht nivellieren.“28)
Der Große Austausch
Standardbedeutung
Es handelt sich bei dieser Sinnformel um eine Neubildung, für die es keine Standardbedeutung im Deutschen gibt. Ein zumindest teilweise synonymes Wort ist Umvolkung, ein Wort, das im Nationalsozialismus für die Germanisierung eroberter Gebiete verwendet wurde. Das Wort Umvolkung findet sich heutzutage hauptsächlich in Online-Medien, da dort für die Verwendung von Nazi-Sprache nur geringe Sanktionen drohen. Neu gebildet erscheint das Verb umvolken, das sich vor allem in Blogs findet. Eine weitere Variante ist der Ausdruck Bevölkerungstausch, der ebenfalls aus der Nazi-Zeit stammt und für ein Programm verwendet wurde, Minderheiten von Nachbarländern wechselseitig in ihre „ursprüngliche Heimat" zu migrieren. Der Ausdruck wird heute in der Neuen Rechten synonym zu Der Große Austausch verwendet.
Szenebedeutung
Die Phrase Der Große Austausch stellt eine der wichtigsten Sinnformeln der gemäßigten wie der extremen Neuen Rechten dar, mit der sie ihr teilweise aggressives und militantes Verhalten rechtfertigt. Wird diese legitimierende Sinnformel akzeptiert, so lässt sich die weitere rechte Ideologie einschließlich der „Rückeroberung" (s. Reconquista) daraus plausibel entwickeln, auch mit dem Einsatz von Waffengewalt und Terror, wie Bekennerschreiben der Anschläge von Utøya und Christchurch gezeigt haben. Die Bedeutung der Phrase Der Große Austausch kann beschrieben werden als „erzwungene Mischung von Ethnien und Kulturgemeinschaften und Austausch der heimisch angestammten Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer, die zu einer Auflösung kultureller Unterschiede und einer Zerstörung der europäischen Kultur führt". „Helfer der Invasoren" sind Vertreter des Kulturmarxismus (s. Kulturmarxismus), die durch ihre „linke Multikulti-Ideologie" das Volk (s. Volk, Nation) „manipuliert" haben, so dass das Volk (s. Volk, Nation) den ‚heimlichen Plan‘ Des Großen Austauschs nicht bemerkt. Der Große Austausch ist durch die Annahme einer unbemerkten Manipulation der Bevölkerung durch „Kulturmarxisten" in der Regel mit einer Verschwörungstheorie gekoppelt, wobei die „letztlichen Drahtzieher" variieren können. Dies reicht von abstrusen Annahmen wie „außerirdischen Reptiloiden" bis hin zu faschistischen Annahmen eines „Weltjudentums" oder auch zur aktuellen deutschen Regierung, insbesondere zur derzeitigen Bundeskanzlerin.
Belegbeispiel
- „Der Große Austausch bezeichnet einen schrittweisen Prozess, durch den die heimisch angestammte Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht wird.“29
- „Wir treten an gegen den großen Austausch.“30)
- „In jeder gottverdammten scheiß Stadt seh‘n wir, was passiert: Der Große Austausch. Doch wir stehen ja noch hier. Wir werden uns’re Fahnen tragend in den Heldenkampf marschieren. Reconquista der Heimat in jedem Stadtbezirk.“31)
Kulturmarxismus
Standardbedeutung
Es kann keine Standardbedeutung angegeben werden, da es sich um eine Neubildung handelt. Der Ausdruck Kulturmarxismus ist als Entlehnung aus dem Englischen von cultural marxism nach den rechtsterroristischen Anschlägen von Utøya im Jahr 2011 in deutschen Referenzkorpora nachweisbar. Er stellt die zentrale Sinnformel in den beiden Bekennerschreiben dar und ist seitdem fester Bestandteil der Sprache der neurechten Szene. Dort finden sich auch Alternativausdrücke wie die Kompositionen rotgrün oder linksgrün in Kombination mit abwertenden Vokabeln.
Szenebedeutung
In den beiden Bekennerdokumenten des rechtsextremen Attentäters von Utøya, einer animierten, multimodalen Folienpräsentation und einem ca. 1500 Seiten langen digitalen Word-Dokument, spielt der Ausdruck Cultural Marxism, der in den deutschen Medien mit Kulturmarxismus übersetzt wird, eine zentrale Rolle: Dort wird insbesondere mit Bezug auf den rechtsradikalen Blogger Fjordman eine Verschwörungstheorie entwickelt, wonach sich der Marxismus von einem ökonomischen zu einem kulturellen gewandelt habe. Die Agentur sei das Institut für Sozialforschung bzw. die Frankfurter Schule und ihre „Epigonen", die „68er“. Diese wollten auf globaler Ebene eine Nivellierung kultureller Unterschiede und dabei die Nationalstaaten auflösen. Der Ausdruck Kulturmarxismus wird in metonymischer Weise mit den Ausdrücken Multikulti und Politische Korrektheit synonym verwendet. Mit der Sinnformel Kulturmarxismus wird der Kern, die „Ursache aller Probleme" erfasst: Eine Elite (s. Elite) von Kulturmarxisten um Adorno, Fromm, Marcuse, Gramsci und Derrida hätten über die Inflitration öffentlicher Einrichtungen wie Schulen, Universitäten und Medien eine „hegemoniale Mentalität" von „Politischer Korrektheit", „Feminismus" und „Multikulturalismus" aufgebaut, die das Männliche als autoritär und schädlich abwerte und zu einer „ Feminisierung" und „Verweichlichung" der Gesellschaft führe. Dies unterstütze die „Islamisierung" und diene dem finalen Ziel, dem Großen Austausch (s. Der Große Austausch).
Von der Sinnformel des Kulturmarxismus wird ein polarisierendes Hassdenken, insbesondere gegen die sogenannten Eliten (s. Elite) und gegen Migrantinnen und Migranten aufgebaut und in ein Sezessionsdenken kanalisiert: gegen die liberale Demokratie, Europa und alles, was auch nur im weitesten Sinne mit „Politischer Korrektheit", „Gender", „Multikulturalität", „Feminismus" angesprochen werden kann. Für dieses Sezessionsdenken wird etwa in den Bekennerschreiben Breiviks, des Attentäters von Utøya, die Sinnformel Konservative Revolution artikuliert, deren Konsequenz in einem Bürgerkrieg bestehen müsse. Attentäter wie Breivik und seine Nachfolger in München oder Christchurch verstehen sich daher auch als Wegbereiter eines solchen Bürgerkriegs. Die Gesellschaft soll durch eine Vielzahl von Aktionen wie die Beobachtung und Anprangerung von „Linken" in Schulen und Universitäten gespalten und in eine bewaffnete Auseinandersetzung, einen Bürgerkrieg, getrieben werden. Nur dies könne „die europäischen Völker" (wozu auch US-Amerikaner, Buren, Kanadier, Australier und Neuseeländer gezählt werden) vor ihrem „Genozid" (dieser Ausdruck wird häufiger verwendet) bewahren.
Der Ausdruck Kulturmarxismus dient also auch dazu, den „Feind" durch eine äußerst vage Methode zu identifizieren: nämlich als alles, was im weitesten Sinne als „links" oder „liberal" ausgemacht werden kann, alles, was nicht bekennend patriotisch oder national im Sinne der Neuen Rechten ist, und alles, was diese Verschwörungstheorie in Frage stellt. Dies genügt, um Personen zu definieren, die dann Hassangriffen, Morddrohungen oder auch konkreten Attentaten ausgesetzt werden.
Belegbeispiele
- „The name of the devil: cultural Marxism, multiculturalism, globalism, feminism, emotionalism, suicidal humanism, egalitarianism - a recipe for disaster“.32)
- „Political Correctness is in fact cultural Marxism (Cultural Communism) – Marxism translated from economic into cultural terms. (…) In 1923, in Germany, a group of Marxists founded an institute devoted to making the transition, the Institute of Social Research (later known as the Frankfurt School). (…) The Frankfurt School gained profound influence in European and American universities after many of its leading lights fed and spread all over Europe and even to the United States in the 1930s to escape National Socialism in Germany. In Western Europe it gained influence in universities from 1945. The Frankfurt School blended Marx with Freud, and later influences (some Fascist as well as Marxist) added linguistics to create ‚Critical Theory’ and ‚deconstruction.’ These in turn greatly influenced education theory, and through institutions of higher education gave birth to what we now call ‚Political Correctness.’ The lineage is clear, and it is traceable right back to Karl Marx.“33)
- „Unserem Otto haben wir heute die Augen verbunden, damit der Vater der Nation den täglichen Wahnsinn aus Kulturmarxismus und Islamisierung nicht mehr sehen muss.“34)
- „In der Tradition des 17. Juni dem Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR will die IBD durch ihre Demonstration erneut ein Zeichen gegen eine von oben verordnete, freiheitsfeindliche Globalisierung, den von den Altparteien geförderten Bevölkerungsaustausch und gegen den Kulturmarxismus der Gegenwart setzen.“35)
Reconquisa
Standardbedeutung
Reconquista ist eine Entlehnung aus dem Portugiesischen oder Spanischen und bedeutet „Rückeroberung". Das Wort hat sich als historischer Terminus für den „Kampf Spaniens gegen die arabische Herrschaft im Mittelalter" etabliert und ist im Deutschen seit dem 19. Jahrhundert nachweisbar.
Szenebedeutung
Im Extremismus der Neuen Rechten wird der Ausdruck Reconquista mit Bezug auf die historische Situation im Mittelalter auf die Gegenwart übertragen und in der Bedeutung verwendet: „Besetzung Europas durch muslimisch-arabische Invasoren, die es mit Waffengewalt zu vertreiben gilt, ähnlich wie es das christliche Spanien im Mittelalter erfolgreich vorgemacht hat".
Diese Bedeutung von Reconquista wird etwa im Manifest von Anders Breivik deutlich beschrieben. „Helfer der Invasoren" sind Vertreter des Kulturmarxismus, die durch ihre „linke" Meinungsführerschaft das Volk (s. Volk, Nation) mit „politischer Korrektheit", „Genderismus", „liberaler Demokratie", „Menschenrechten" und „Feminismus" so „manipuliert" haben, dass das Volk (s. Volk, Nation) den „heimlichen Plan" Des Großen Austauschs (s. Der Große Austausch) nicht bemerkt. Die hauptsächlichen Träger sind die „68er“ und ihre „Nachfolger", Vertreter der „Frankfurter Schule“, sowie alles, was im weitesten Sinn mit staatlichen Einrichtungen (die ja „infiltriert" sind), mit liberaler Demokratie oder einem demokratischen Europa zu tun hat. Reconquista bedeutet bei der Identitären Bewegung daher auch „Rückeroberung kulturmarxistisch besetzter Diskursräume", in denen wieder die „wahren Werte" wie „Patriotismus" etabliert werden müssen. Seit der Bundestagswahl 2017 trat ein Netzwerk von Neuen Rechten in Erscheinung, die unter dem Namen Reconquista Germanica als selbsternannte Satire mit gezielten Social Media Kampagnen versucht haben, politische Diskurse „zurückzuerobern", insbesondere, um die AfD im Wahlkampf zu unterstützen. Reconquista Germanica wurde vom Verfassungsschutz beobachtet und hat mittlerweile ihre Auflösung bekannt gegeben. Ein Slogan mit ähnlicher Bedeutung wie Reconquista ist „Wir holen uns unser Land zurück.“
Belegbeispiel
- „Campaign one – reconquista of Europe (West/East) (…) When a large part of Western Europe (and the Balkans) is liberated from cultural Marxism, wait for the rest of the nations to join the alliance. The US will implode eventually and no measures should be taken (depending on several factors) against Turkey and the liberation of our Middle Eastern Christian cousins before the US civil war P2 or P3 starts.36)
- „The Progress Party is now a part of the problem as they continuously give the Norwegian people false hope and thus contributes to pacify them. They should rather be honest and admit that all hopes for the democratical change of the society is futile and rather encourage all patriotic Norwegians to resist the multiculturalist regime through armed resistance. Their unwillingness to do this makes them a central part of the problem and in fact an obstacle to the liberation of and the reconquista of Norway.“37)
- „Der Begriff der Reconquista („Rückeroberung“) ist an das historische Ereignis der schrittweisen Rückeroberung der iberischen Halbinseln durch die westgotischen Reichsnachfolger, die zuvor durch muslimische Eroberer besetzt gehalten wurden. Gewiss stehen wir heute in keiner unmittelbaren militärischen Konfrontation und dennoch dominiert der Zeitgeist der Selbstabschaffung durch die Ideologie von Multikulti. Es ist also vornehmlich ein Kampf um Ideen, Begriffe und politische Positionen. Als Identitäre Bewegung wollen wir uns die gesellschaftlichen Diskursräume zurückerobern, die zuvor von einer linksliberalen Hegemonie dominiert wurden. Wir sind die laute patriotische Stimme, die offen Gesicht zeigt und den Werten von Heimatliebe und Tradition wieder Gestalt und gesellschaftlichen Raum verleiht. Die Liebe zum Eigenen und das Bewusstsein für unsere ethnokulturelle Identität sind Selbstverständlichkeiten für die wir uns nicht schämen müssen. Wir wollen dass der Patriotismus zu einem gesellschaftlichen Leitwert wird und eine echte Meinungsfreiheit, die auch unseren inhaltlichen Positionen einen legitimen Artikulationsraum ermöglicht. Dies fordern wir ein und dafür gehen wir jeden Tag auf die Straße und bilden die Phalanx für die Reconquista.“38)