Bundeskriminalamt (BKA)

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Das islamistische Spektrum in Deutschland ist weit gefächert und außerordentlich unübersichtlich. Dieses ist jedoch kein rein deutsches Problem, sondern der Grund, warum beispielsweise der algerische Schriftsteller Boualem Sansal den Islamismus als „Nebelgewölk“ aus Organisationen und informellen Akteuren beschreibt. Das Uneindeutige bezieht sich auch auf den Begriff Islamismus (auch „politischer Islam“ genannt), der Ambitionen auf die Macht im Staat hegt und Gesellschaft, Wirtschaft, Recht und Ordnung nach islamischen Prinzipien organisieren will.

Ist „der“ Salafismus, oder besser die salafistische Bewegung mit ihrer fundamentalistischen Ausrichtung und ihren unterschiedlichsten Netzwerken und Orientierungen dem islamistischen Spektrum zuzuordnen? Wie schwer derartige Einschätzungen fallen, zeigt die jüngste Geschichte des Salafismus, dessen Gallionsfigur Nasir ad-Din al-Albani1) noch der Meinung war, „die beste Politik sei es, sie sein zu lassen“. Ähnlich sahen das ägyptische Salafisten, aber nur bis zu dem Punkt, als sich ihnen 2011 die Möglichkeit bot, nach dem Sturz von Husni Mubarak mit der ägyptischen Muslimbruderschaft zu koalieren und gemeinsam die Macht im Staate zu übernehmen. Für die gegenwärtig global agierenden Jihadisten wiederum sind derartige Überlegungen völlig überholt. Ihnen geht es allein um die Erfüllung einer aus ihrer Sicht zentralen Glaubenspflicht: den Jihad gegen den „nahen“ und den „fernen Feind“ (d. h. gegen die pro-westlichen „Vasallen“-Regime in mehrheitlich muslimischen Ländern und gegen „den Westen“). Wir haben es also beim islamistischen Spektrum einerseits mit einem vielgesichtigen und veränderlichen Phänomen zu tun, bei dem die Übergänge zwischen Fundamentalismus und politischem Aktivismus sowie zwischen gewaltfreiem und militantem Extremismus oder Terrorismus fließend sind. Was das Spektrum aber andererseits eint, ist eine Weltsicht, in der sich bei sich bietender politischer Gelegenheit verfassungsmäßige säkulare Ordnungen, gesellschaftlicher Pluralismus oder die Gleichstellung von Mann und Frau einem islamistisch interpretierten „Gesetz Gottes“ zu beugen haben.

Die Unterscheidung von Islam und Islamismus ist nicht selbstverständlich. Islamkritiker lehnen sie mit dem Argument ab, der Islam sei bereits eine politisch ambitionierte Religion.2) Die anderen – häufig Muslime, die sich um einen friedvollen Islam bemühen und deshalb auch die als herabsetzend empfundenen Begriffe Islamismus oder Jihadismus kritisieren – drängen wiederum auf eine strikte Trennung von Islam und Islamismus.

Für die hier verfolgte Zielsetzung, den Islamismus in Deutschland zu erläutern, muss es genügen, auf den Begriff „Islamismuskompatibilität des Islam“ hinzuweisen, der von dem Extremismusforscher Pfahl-Traughber geprägt wurde.3)

Statt einer von rechtspopulistischen Kreisen praktizierten pauschalisierenden Abwertung des Islam Vorschub zu leisten, wird es so möglich, Islam und Islamismus analytisch zu trennen, gleichzeitig aber die einseitige Instrumentalisierungsthese – Missbrauch des friedvollen Islam durch Islamisten – kritisch zu hinterfragen.

Die zentrale Herausforderung für repressive wie präventive Maßnahmen besteht darin, Unterschiede zu erkennen. Allen voran zwischen religiöser Frömmigkeit im Rahmen der Religionsfreiheit und einer Frömmigkeit, die anderen vorschreibt, was sie zu glauben, zu tragen und wie sie ihren Glauben zu verteidigen haben.

Differenzierung braucht es aber auch zwischen den unterschiedlichen Akteuren des islamistischen Spektrums. Zum einen, weil sich die Anhänger des politischen Islam, des salafistischen Fundamentalismus und des globalen Jihad in ihrer Entstehung, Organisationsform und in ihren Aktivitäten zum Teil erheblich unterscheiden. Zum anderen, weil eine mangelnde Binnendifferenzierung und Abgrenzung zum Mehrheitsislam in Deutschland dem terroristischen Kalkül entspricht und Gefahr läuft, mit kontraproduktiver Stigmatisierung das zu befördern, was es im Sinne der inneren Sicherheit unter allen Umständen zu verhindern gilt: die Ausweitung des jihadistischen Milieus in Deutschland.

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