Bundeskriminalamt (BKA)

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Aus der Perspektive von Angebotsdurchführenden, also von beim Angebotsträger beschäftigten Hauptamtlichen, Honorarkräften und Ehrenamtlichen, stellen sich Evaluationsanliegen im Allgemeinen anders dar, besonders dann, wenn diese über Selbstevaluationsaufgaben hinausgehen und eine externe Evaluation beauftragt wird. Auf der einen Seite stellt sich dann bei ihnen nicht selten eine Reihe von Befürchtungen ein: Kommen jetzt Kontrolleure von außen, die uns in die Karten schauen, unsere Arbeit vermessen und unsere institutionelle und persönliche Leistung bewerten? Sind dadurch nicht letztendlich unsere Stellen zumindest teilweise gefährdet oder könnte nicht zumindest die Außenwirkung unserer Einrichtung und darüber hinaus vielleicht auch die unseres Trägers negativ beeinflusst werden? Ist es nicht zu erwarten, dass die evaluierenden Personen abgehobene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind, die von den Realitäten der Praxis kaum Kenntnis haben, und birgt nicht schon deshalb eine Bewertung durch sie erhebliche Verzerrungen und Lücken und ihr Empfehlungskatalog für die Ausrichtung der künftigen Arbeit manch Unrealistisches? Ist der Aufwand, der im Zusammenhang mit der Evaluation verlangt wird – Zusammenstellung von Daten, Offenlegen von Dokumenten, Bereitstehen für Interviews, Vermittlung von Angebotsnutzerinnen und -nutzern, organisatorische Absprachen etc. –, überhaupt für uns leistbar und steht er wenigstens halbwegs in angemessener Relation zum vermutlichen Nutzen? Und gerade in der Arbeit mit Radikalisierten kommt die Problematisierung auf: Sind womöglich die Anonymität und/oder der Daten- und Vertrauensschutz unserer Klientinnen und Klienten, vielleicht sogar unsere eigene Sicherheit als Mitarbeitende durch zu viel Offenlegung gefährdet? Wie weit gefährdet der Eingriff der Evaluation den höchst fragilen Arbeitsprozess, der auf Aufbau und Erhalt vertrauensgeleiteter Arbeitsbeziehungen basiert? Ist das Vertrauen zwischen Praktiker bzw. Praktikerin und Klientin bzw. Klient erst einmal erschüttert, ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, so hervorgerufenen Fehlentwicklungen erfolgreich zu begegnen. Will Evaluation Zugang zu unserer Klientel? Welche Wirkungen wird das auf sie haben? Und wie stelle ich ihr gegenüber Transparenz her, ohne dass das Vertrauensverhältnis gestört wird?

Solche Bedenken können sich mit einer generellen Evaluationsskepsis mischen, die davon ausgeht, dass Erfolg und Wirkung pädagogischen Handelns ganz und gar nicht messbar sind und das Vorhaben insofern wenig Mehrwert verspricht. Das gilt nicht zuletzt für die primäre bzw. universelle Prävention, zu der Maßnahmen der politischen Bildung zählen – hier sind die Grenzen tatsächlich besonders eng, in denen Erfolg im Sinne der Wirkung eines Projekts nachgewiesen werden kann. Klaus Ahlheim und Bardo Heger sprechen davon, dass allenfalls „Wirkungsspuren“ gesucht und festgestellt werden können.4) Evaluation beschränkt sich in diesem Feld gelegentlich auf die Messung der Teilnehmendenzufriedenheit durch Feedbackbögen. Gerade bei unsicher Beschäftigten in der politischen Bildung kann das mit Ängsten verbunden sein, künftige Aufträge zu verlieren.

Auf der anderen Seite sind bei Mitarbeitenden zu evaluierender Programme, Projekte und Einzelmaßnahmen und ihren Anstellungsträgern erfahrungsgemäß aber durchaus auch Erwartungen nach positivem Nutzen vorhanden. Oftmals sind es aus Sicht der Mitarbeitenden vorrangig zwei Hoffnungen, die dann mit Evaluation verbunden werden: Wenn sie gut gemacht wird, wird sich zeigen, wie wichtig und zielführend die Arbeit ist, die wir in unserer Einrichtung bzw. in unserer Trägerschaft leisten und wie tragfähig das ist, was jeder Mitarbeitende persönlich leistet. Und: Wir werden durch eine genauere Untersuchung unserer Arbeitsprozesse, -konzepte und -strukturen herausfinden können, wo unsere Stärken und unsere Schwächen liegen. Wir werden dann in der Lage sein, Fehlentwicklungen vorzubeugen, Stabilisierungen unserer Arbeit an den richtigen Stellen anzugehen und Optimierungen als Weiterentwicklungen vorzunehmen – und das vielleicht sogar schon während der Laufzeit der Evaluation. Die Erwartung an die Evaluation wird dann sein, möglichst konkrete, unmittelbar umsetzbare Impulse für die eigene Praxis zu geben. In dieser durchaus widersprüchlichen Ausgangslage in der Sekundär- und insbesondere Tertiärprävention, geprägt von Befürchtungen und Hoffnungen, spiegelt sich das Verhältnis der Praktiker und Praktikerinnen zu ihren Klientinnen und Klienten im Verhältnis der evaluierenden Personen zu den Praktizierenden wider: Es kommt darauf an, ob es gelingt, die Methoden der Evaluation, nicht nur auf die Evaluationsbedarfe, sondern auch entlang der Charakteristika der eigentlichen Adressatengruppierung und der daraus abgeleiteten pädagogischen Arbeitsweisen und Methoden abzustimmen. Angesichts der Gefahr, die von Radikalisierten ausgeht, kommt es also in hohem Maße darauf an, die Balance zwischen den belastbaren Methoden der Evaluationsforschung und denen des untersuchten Arbeitsprozesses herzustellen.

Nach den Bedarfen, Zwecksetzungen und darüber hinausgehenden Erwartungen tatsächlicher und potenzieller Nutzerinnen und Nutzer von Angeboten, ihren alltagsweltlichen Bezugspersonen und nach den Bedarfen und Erwartungen von Kooperationspartnern wird im Allgemeinen im Zusammenhang mit Evaluationsvorhaben eher selten gefragt. Dabei können auch sie als wichtige Beteiligte im Evaluationszusammenhang betrachtet werden. Es ist erforderlich, Bezugspersonen und Kooperationspartner nicht nur als Außenstehende zu betrachten, sondern auch die Vorteile im Blick zu haben, die sich durch bestimmte Zwecke der Evaluation und die Anlage der Untersuchung auch für sie ergeben können.

Zwischenfazit 1

Alles in allem bleibt hinsichtlich Bedarfen und Zwecken von Evaluation (nicht nur) in der Extremismusprävention zunächst festzuhalten: Evaluation im Sinne einer Auswertung und Überprüfung dessen, was inhaltlich, methodisch und strukturell an Arbeit geleistet wird, ist prinzipiell immer anzuraten, wenn produktive und auf Dauer tragfähige professionelle Leistungen erbracht werden sollen. Ihre Notwendigkeit drängt sich aber in erster Linie dort auf, wo Neuland betreten wird. Unabhängig davon, ob es sich um zivilgesellschaftliche Initiativen oder staatliche Stellen handelt, erscheint es dabei angezeigt, die Interessen der unterschiedlichen Stakeholder, etwa von Auftraggebern über Mitarbeitende bis hin zu Adressierten und ggf. ihren Bezugspersonen, aufzunehmen, die bei ihnen bestehenden Befürchtungen und Erwartungen zu berücksichtigen und diese Aspekte in ein Evaluationsdesign einfließen zu lassen, das ebenso gegenstandsangemessen wie nutzenorientiert angelegt ist.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur