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Extremismusprävention aus der Perspektive eines sicherheitsbehördlichen Bedarfs

Dieser Beitrag versteht sich als Brückenschlag zwischen Theorie- und Praxisteil des Handbuches. Der Darstellung der wissenschaftlichen Grundlagen der Extremismusprävention in Kap. 1 bis 4 folgt im Praxisteil eine Beschreibung dieses Handlungsfeldes in Deutschland aus der Sicht einiger der zentralen Akteurinnen und Akteure, die seit mehreren Jahren in diesem Bereich in unterschiedlichen Rollen gestalterisch tätig sind. Die folgenden drei Kapitel (Kap. 5, 6 und 7) behandeln ausführlich zentrale Facetten der aktuellen bzw. zurückliegenden Präventionspraxis und bieten dem Leser umfassende Einblicke in die relevanten Ansätze, Programme und Projekte. Der Praxisteil des Handbuchs versteht sich als Versuch, den Ist-Stand der Präventionspraxis im Jahr 2020 abzubilden. Dies ist ein Unterfangen, das angesichts des fluiden Charakters eines sich ständig verändernden und in Entwicklung begriffenen Arbeitsfeldes nur eine Momentaufnahme einer komplexen Wirklichkeit liefern kann. Brahim Ben Slama Diplom-Psychologe bei der Forschungsstelle Terrorismus/Extremismus des Bundeskriminalamtes

Dieser einleitende Beitrag soll zusätzliche Informationen über die Anforderungen und Erwartungen an eine Extremismuspräventionspraxis vermitteln, die aus der Perspektive eines sicherheitsbehördlichen Bedarfs formuliert – und somit etwas stärker auf einen Teilbereich des Handlungsfeldes fokussiert sind, indem die Arbeit mit der für die Sicherheitsorgane relevanten Zielgruppe im Mittelpunkt steht. Diese Einleitung befasst sich also mit einem aus sicherheitsbehördlicher Perspektive formulierten Soll-Stand in einem für die Sicherheitsbehörden wichtigen Abschnitt der Extremismusprävention und soll zur Vervollständigung des Gesamtbildes in diesem Praxisteil des Handbuches beitragen.

Beginnend mit einem Blick von außen auf das, was in Deutschland zur Prävention des „islamistischen“ Extremismus und Terrorismus unternommen und spitz-anerkennend als „German Approach" in der internationalen Literatur umschrieben wurde, sollen zuerst sowohl die Chancen als auch Grenzen eines föderal organisierten Systems sowie ihre Bedeutung für die Präventionsarbeit skizziert werden.

Daran anschließend folgt ein kurzer historischer Abriss über die junge Geschichte der Anstrengungen im Bereich der Prävention des islamistisch motivierten Extremismus/Terrorismus, die seit 2005 im staatlichen Sektor in Deutschland unternommen wurden und die letztendlich den Weg zur Etablierung der aktuellen Praxis geebnet haben.

Nach diesem deskriptiven Teil geht der Beitrag auf die zentrale Frage der Wirksamkeit und Effektivität von Extremismuspräventionsprogrammen ein, die von staatlichen Akteuren finanziert und gestaltet werden: Was kann und soll Extremismusprävention in diesem Bereich leisten und wie kann sichergestellt werden, dass die beabsichtigten Effekte tatsächlich erzielt werden? Hierbei wird zunächst auf die Möglichkeiten und Grenzen einer evidenzbasierten Gestaltung von Präventionsprogrammen in einem relativ jungen und quantitativ überschaubaren Feld eingegangen und daraus konkludierend die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Konzeption erörtert.

Zuletzt werden einige Schlussfolgerungen aus den Darstellungen des Wissensstandes in den Kapiteln 1 bis 4 gezogen und ihre Bedeutung für die Gestaltung von Präventionsprogrammen diskutiert. Dabei werden auch einige Entwicklungspotenziale angesprochen, die – in Anbetracht der aktuellen Erkenntnislage und vor dem Hintergrund eines akuten Handlungsbedarfes im sicherheitsrelevanten Bereich – sich künftig besser entfalten müssten, damit Prävention ihr Versprechen einlösen kann, bei der Eindämmung von Extremismus einen spürbaren Effekt zu erzielen.

The German Approach?

In einem Artikel vom Jahr 2013 beschreibt Dorle Hellmuth den deutschen Ansatz zur Prävention des islamistischen Extremismus/Terrorismus (the country´s general approach on counterradicalization)1) und identifiziert dabei drei Charakteristika, die nach ihrer Sicht den „German Approach“ kennzeichnen:

Mainstream-Salafisten

Als Mainstream-Salafisten2) bezeichnet sich eine große Gruppe deutscher Salafisten. Sie verbinden Missionsarbeit mit einer eigeschränkten Akzeptanz von Methoden außerparlamentarischer Opposition wie Protestkundgebungen und -kampagnen. Ein Teil von ihnen lehnt Gewalt ab und ein anderer legitimiert sie, ohne direkt dazu aufzurufen.

  • Die Präventionsbemühungen seien gegen alle Formen des radikalen Islamismus gerichtet und würden beispielsweise nicht nur auf den gewaltbereiten Salafismus abzielen, sondern auch auf den sogenannten Mainstream-Salafismus. Aus deutscher Sicht würden beide Flügel ein und dieselbe Ideologie teilen und die Grenzen seien zwischen den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Phänomens dynamisch.
  • Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern (England, Niederlande und Dänemark), die bereits sehr früh eigene nationale Präventionsstrategien gegen den islamistischen Extremismus und Terrorismus entwickelt hätten, erschwere die föderale Struktur in Deutschland die Aufstellung eines einheitlichen Präventionsprogramms, das überall in den 16 Bundesländern auf Akzeptanz stoße.
  • Diesem Umstand geschuldet, und weil Prävention ohnehin vor Ort in den Kommunen stattfinde, bestehe der Mehrwert eines nationalen Präventionsprogramms in Deutschland in der Koordinierung und dem Austausch zwischen lokalen und überregionalen Akteuren sowie zwischen den unterschiedlichen relevanten Ressorts.

Gleichwohl diese – einige Jahre zurückliegende – Charakterisierung der Präventionspraxis in Deutschland nicht in allen Punkten mit der Selbstdarstellung vieler Präventionsinitiativen hierzulande deckungsgleich scheint, so spiegelt sie zumindest eine Außenperspektive wider: die „Islamismusprävention“ in Deutschland, wie sie im Ausland wahrgenommen wird. Dabei scheinen die groben Rahmenbedingungen der Präventionsarbeit in Deutschland für 431 den Außenbeobachter nicht unentdeckt geblieben zu sein: 1) Die Dominanz einer Gefahrenperspektive, die Radikalisierung als Vorstufe von Gefährdung sieht bzw. als Phase, die potenziell zum Extremismus und Terrorismus führen kann (siehe Kap. 3.3) und vor allem den Umgang mit den Islamismus-bezogenen Phänomenen3) prägt 2) die Bedeutung der Föderalen Struktur Deutschlands, die die Zuständigkeiten für präventions-relevante Handlungsfelder regional verortet sowie 3) die Macht eines gelebten Subsidiaritätsprinzips, das vor allem den Kommunen viele Handlungsräume öffnet und gleichzeitig praktische Präventionsarbeit ohne deren Mitwirkung erschwert.

Die Vorstellung, dass Extremismusprävention in Deutschland einem bundeseinheitlichen Ansatz folgt, erweist sich allerdings als ungenau, die Umschreibung „German Approach“ als metaphorisch. Vor dem Hintergrund der Realität eines föderalen Systems, in dem die Verantwortlichkeit für bestimmte Gesellschaftsbereiche in den Händen der Bundesländer liegt und nicht einem nationalen Diktat untersteht, existieren vielmehr in Deutschland zahlreiche Programme in Bund und Ländern mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Hieraus ergeben sich unweigerlich quasi maßgeschneiderte, auf die spezifischen regionalen Bedürfnisse ausgerichtete Ansätze sowie die Notwendigkeit einer besseren Koordinierung und Abstimmung zwischen Bund und Ländern sowie zwischen unterschiedlichen Ressorts (vertikaler und horizontaler Austausch).

Wie Extremismusprävention in Deutschland aktuell im Allgemeinen aufgestellt ist, wird in den folgenden Beiträgen des Handbuches durch Repräsentanten der Präventionspraxis ausführlich erörtert. Dabei offenbart sich die Dynamik einer Präventionspraxis, deren Konzepte, Ansätze und Programme stets einem Anpassungsdruck unterliegen, der durch die ständig wachsenden Anforderungen der unterschiedlichen Phänomene sowie die immer neuen Veränderungen der Rahmenbedingungen von Präventionsarbeit bedingt ist. Besonders in den letzten Jahren waren die Herausforderungen immens. Nicht nur im Bereich des islamistisch motivierten Extremismus und Terrorismus, dessen Bedrohung nicht zuletzt durch die massiven Ausreisen deutscher „Jihadisten“ nach Syrien und in den Irak selbst auf regionaler und kommunaler Ebene spürbarer geworden ist, sondern auch in weiteren Phänomenbereichen (Rechts- und Linksextremismus) sehen wir uns heute mit einer anderen Lage konfrontiert. Sowohl der quantitative Zuwachs der einzelnen Phänomene als auch die zunehmenden Interdependenzen zwischen ihnen machen eine wirksame und besser abgestimmte phänomenübergreifende Präventionsstrategie dringend erforderlich.

Die Bemühungen zur Etablierung von Präventionsprogrammen im Bereich des islamistisch motivierten Extremismus und Terrorismus begannen in den Anfängen der 2000er Jahre als Reaktion auf eine seinerzeit als neu empfundene Bedrohung. Für viele Jahre waren es in Deutschland überwiegend staatliche Akteure, die in diesem Bereich Initiativen entfalteten. Konzepte für eine „Islamismusprävention“ wurden oft im Rahmen von Gremienarbeit unter Berücksichtigung des jeweils aktuellen Wissensstandes entwickelt und abgestimmt. Im folgenden Abschnitt folgt eine Darstellung der seit 2005 in diesem Bereich unternommenen Anstrengungen für die Etablierung einer Präventionspraxis zur Eindämmung des islamistisch motivierten Extremismus und Terrorismus.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen