Bundeskriminalamt (BKA)

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Die Bedeutung der Extremismusprävention hat in den letzten Jahr(zehnt)en nicht zuletzt aufgrund neuer extremistischer Ausprägungen und verschiedener Ereignisse in Europa beständig zugenommen. Das hieraus erwachsene präventive Angebot in Deutschland weist einen vielfältigen Charakter auf, stellt sich jedoch auch als recht unübersichtlich dar. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, auf Basis von 1.642 im Jahreszeitraum 2018 laufenden Präventionsangeboten einen Überblick über die Präventionslandschaft in Deutschland zu schaffen und diese im Spiegel Politisch motivierter Kriminalität (PMK) zu interpretieren. Es wird darüber hinaus ein Blick auf die nationalen Präventionsstrategien dreier Nachbarländer – Großbritannien, Frankreich und Dänemark – geworfen sowie Maßnahmen europaübergreifender Zusammenarbeit skizziert. Im Ergebnis wird deutlich, dass die Umsetzung präventiver Absichten in den einzelnen Ländern zwar unterschiedlich realisiert wird und mitunter andere Schwerpunkte verfolgt werden, im Kern jedoch alle die gleichen Ziele und den in Europa vorherrschenden Gedanken eines ganzheitlichen Ansatzes verfolgen. Auf Basis unterschiedlicher Kommunikationsplattformen werden der Austausch untereinander und das Lernen voneinander gesichert, die Qualitätssicherung einzelner Maßnahmen auf Basis wissenschaftlicher Begleitforschung (Evaluation) ist jedoch nach wie vor verbesserungswürdig.

Extremismuspräventionslandschaft in Deutschland

Extremistische Szenen präsentieren sich als höchst uneinheitliches Gefüge unterschiedlicher Vertreter und Lager, die sich ihrerseits oft uneinig sind und mitunter gar gegensätzliche Positionen vertreten. Die Mitglieder einer Szene pauschal über einen Kamm zu scheren, wäre dementsprechend fatal, denn die Frage, wo innerhalb einer Szene eine Person konkret steht, ist ebenso wichtig, wie ein gezielter Blick darauf, welcher Weg sie letztlich dorthin geführt hat. Selbst wenn die Entwicklungsverläufe hin zum Extremismus – unabhängig davon, in welches ideologische Umfeld sich jemand schließlich sozialisiert – im Kern gewisse Ähnlichkeiten aufweisen, zeichnen sie sich doch auch durch ein hohes Maß an Individualität aus.1)

Komplexität gepaart mit Individualität im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen gezielt zu berücksichtigen, ist die besondere Herausforderung, der sich Prävention immer wieder aufs Neue stellen muss. Denn eine „One-for-all“-Strategie, die für allezeit und für alle gleichermaßen funktioniert, gibt es nicht. Zum einen, weil unterschiedlich orientierte Szenen sich – bei aller Gemeinsamkeit – dennoch durch Besonderheiten auszeichnen. Zum anderen müssen altbewährte Strategien immer wieder hinterfragt und gegebenenfalls flexibel angepasst werden, um den Erfolg präventiver Maßnahmen zu sichern. Zielgruppenorientierung, Flexibilität, Innovationsbereitschaft und eine gegenwartsbezogene, gut durchdachte Ansprache sind hierfür maßgebliche Grundvoraussetzungen. Ganz entsprechend dieser Herausforderungen ist die Präventionslandschaft in Deutschland nicht nur einem ständigen Wandel unterworfen, sondern auch stark untergliedert. Dies zeigt sich an der Vielzahl sog. Modellprojekte, deren Ziel die Entwicklung und Erprobung innovativer Ansätze ist.

Eine Besonderheit hierzulande ist, dass bei Prävention keine strikte Trennung zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren gezogen wird, sondern beide miteinander kooperieren, das heißt Hand in Hand arbeiten. Diese Zusammenarbeit basiert auf der mittlerweile in Deutschland vorherrschenden Auffassung, dass Prävention nur dann gelingen kann, wenn sie im Sinne einer gesamtgesellschaftlich getragenen Verantwortung von möglichst vielen Aktiven umgesetzt wird. Dieser Leitgedanke ist folglich auch Kernelement der von der Bundesregierung verfolgten Nationalen Präventionsstrategie in Deutschland.2)

Bereits in den 1990er-Jahren (Rechtsextremismus) bzw. den 2000er-Jahren (Islamismus) hat die Bedeutung präventiver Maßnahmen zur Vorbeugung extremistischer Entwicklungen und Politisch motivierter Kriminalität stark zugenommen (vgl. Kapitel 6). Aufgrund des großen Straftatenaufkommens ist jüngst auch die Prävention linksmotivierter Kriminalität wieder stärker ins Blickfeld geraten (prominentestes Beispiel hierfür dürften die Ausschreitungen 2017 anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg sein). Dies zeigt sich unter anderem in einem Zuwachs linkspräventiver Angebote sowie der Einrichtung einer „Bundesfachstelle Linke Militanz“.3)

Die zunehmende Bedeutung präventiver Maßnahmen, lässt sich auch anhand der Bundesförderprogramme gut nachzeichnen: Allein innerhalb des Zeitraums von 2015 bis 2018 wurden die Gelder zur Förderung präventiver Angebote nach und nach auf rund 132,5 Mio. €4) jährlich angehoben und somit insgesamt mehr als verdreifacht. Ähnliche Entwicklungen zeichnen sich auch auf Landesebene ab.

Der Zuwachs an Projekten und Initiativen, den diese Entwicklungen unweigerlich mit sich bringen, führt im Gegenzug jedoch auch dazu, dass es immer schwieriger wird, den Überblick zu behalten.

Im Rahmen des modular aufgebauten Forschungsprojekts „Entwicklungsmöglichkeiten einer phänomenübergreifenden Prävention politisch motivierter Gewaltkriminalität (PüG)“, welches zwischen 2014 und 2017 durch das Bundeskriminalamt durchgeführt wurde, wurde erstmals der Versuch unternommen, die Extremismuspräventionslandschaft in Deutschland für die Jahre 2014/2015 systematisch zu erforschen.5) Hierbei wurde schnell deutlich, dass ergänzend zu bundes- und landesgeförderten Projekten auch eine Vielzahl an Initiativen existiert, die aus Eigenmitteln (kommunale Mittel, Spenden, etc.) finanziert und/oder rein ehrenamtlich getragen wird. Eine vollständige Erfassung solcher Kleinstprojekte gestaltet sich nicht nur schwierig, sondern ist praktisch unmöglich. Insbesondere gilt dies für einmalige Aktionen sowie Aktionen mit kurzen Laufzeiten.

Basierend auf den durch das PüG-Projekt gewonnen Erfahrungen und nach Überarbeitung der hierfür entwickelten Erhebungskriterien wurde unter dem Titel „Extremismuspräventionsatlas (EPA)“ im Jahr 2018 eine Folgeerhebung durchgeführt, die als Grundlage für den hier vorliegenden Beitrag dient. Im Gegensatz zum zeitlich begrenzten PüG-Projekt handelt es sich beim Präventionsatlas um ein fortlaufend angelegtes Projekt. Hieraus ergibt sich ein lebendiger Datenbestand, in den ständig neue Angebote aufgenommen und aus dem beendete Maßnahmen auch wieder herausgenommen werden. Entsprechend dieser Vorgehensweise stellt der hier vorliegende Beitrag zwar eine Momentaufnahme dar, dies wird jedoch durch die meist mehrjährigen Laufzeiten von Präventionsprojekten kompensiert. Es besteht also keine Gefahr, dass die Extremismusprävention heute bereits ganz anders aussieht, als sie es zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags war. Vielmehr ist hier von einem fließenden Wandel auszugehen. hen. Auf unserer Internetpräsenz (www.extremismuspraeventionsatlas.de) finden Sie eine kontinuierlich aktualisierte Deutschlandkarte mit den in den jeweiligen Städten/Regionen vorgehaltenen Präventionsangeboten.

Obwohl EPA zwar derzeit die umfassendste Datenbank extremismuspräventiver Angebote auf Bundes- und Landesebene ist, kann aufgrund der bereits erwähnten starken Zergliederung und der explosionsartigen Zunahme von Angeboten innerhalb der letzten Jahre (vgl. hierzu auch den von Gess et al. angeführten Begriff der „Projektitis“, Kapitel 6. im vorliegenden Band) keinesfalls von einer Vollerhebung ausgegangen werden. Insbesondere kommunalbezogene sowie privat- und ehrenamtlich finanzierte Projekte können nicht komplett erfasst werden. Wohl aber stellt der Extremismuspräventionsatlas sehr umfassend dar, was unter dem Etikett der Extremismusprävention derzeit von Bund und Ländern gefördert wird.

Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen verfolgt der hier vorliegende Beitrag das Ziel, ein möglichst detailliertes Bild davon zu zeichnen, was Extremismusprävention in Deutschland auszeichnet und wie sich diese konkret darstellt: Wo liegen aktuell Schwerpunkte? Was wird konkret angeboten? Welche Zielgruppen werden wie bedient? Und: Gibt es eventuell Verbesserungsbedarf?

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen