Bundeskriminalamt (BKA)

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Grenzenlose Prävention – Extremismusprävention im europäischen Kontext

In den 2000er-Jahren wurden die ersten Programme zur Bekämpfung von Extremismus und Radikalisierung in der EU eingerichtet. Die Anschläge des 11. September und die daraus entstehende Angst vor dem sogenannten „homegrown Terrorismus“, d. h. im eigenen Land entstandenen Terrorzellen, drängten europäische Regierungen zum Handeln. Wissenschaft und Praxis teilten die Einschätzung von der Notwendigkeit nationaler und europaübergreifender Maßnahmen, um neuen grenzübergreifenden Bedrohungen Einhalt zu gebieten. Mit dem militärischen Engagement vieler europäischer Staaten in Afghanistan und im Irak stieg auch die Wahrscheinlichkeit, Ziel islamistisch motivierter „Vergeltungsschläge“ zu werden. Die Anschläge von Madrid (2004) und London (2005) bestätigten diese Befürchtungen und hatten den umfassenden Ausbau nationaler Extremismuspräventions-Programme in einigen europäischen Staaten zur Folge.

Der folgende Abschnitt beschreibt die nationalen Präventionsstrategien europäischer Staaten gegen den Extremismus anhand dreier gegenwärtig prominent diskutierter Fallbeispiele, und zwar Großbritannien, Dänemark und Frankreich. Anschließend gewährt er einen Einblick auf eine Auswahl Europa übergreifender Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung. Zuvor erfordert die Darstellung europaweiter Maßnahmen in der Extremismusbekämpfung eine kurze Darstellung der Begriffe und Terminologien in diesem Zusammenhang, um deren Einsatz in den jeweiligen nationalen Rahmen der hier vorgestellten Staaten einordnen zu können.
Der deutschsprachige Raum gebraucht eine Vielzahl an Begriffen zur Klärung der Prävention von Extremismus und Radikalisierung – so etwa Extremismusprävention, Radikalisierungsprävention oder Deradikalisierungsmaßnahmen. Eine vergleichbare Begriffsschärfe bzw. Unterscheidung einzelner präventiver Bereiche ist im europäischen Kontext jedoch nur bedingt vorhanden. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verwendet die Terminologie „Preventing Terrorism and Countering Violent Extremism and Radicalization that leads to Terrorism“ (Verhinderung von Terrorismus und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus und Radikalisierung, die zu Terrorismus führen). Im US-amerikanischen Kontext wird von „Countering Violent Extremism“ (Gegen gewalttätigen Extremismus – CVE) gesprochen und die Vereinten Nationen verwenden den Begriff „Preventing Violent Extremism (Verhinderung von gewalttätigem Extremismus – PVE)“.29) Auch im weiteren internationalen Kontext werden Prävention und Deradikalisierung voneinander getrennt behandelt. In den nationalen Aktionsplänen der hier ausgeführten Länder werden beide Konzepte in die Programme zur Bekämpfung von Extremismus und Radikalisierung integriert.

Großbritannien

Großbritannien hat mit CONTEST, einem der umfassendsten Aktionspläne Europas, auf die neue Sicherheitslage nach dem 11. September 2001 sowie den Anschlägen vom 7. Juli 2005 in London reagiert. Teil dieses Aktionsplans ist das Prevent Programm, das mit „Vorbeugung, Verfolgung, Schutz und Vorbereitung (Prevent, Pursue, Protect, Prepare)“, vier Komponenten umfasst30), die darauf abzielen, die von Radikalisierung gefährdeten Personen zu identifizieren, den Risikograd möglicher Gefährder einzuschätzen und Unterstützungsmaßnahmen für sie zu entwickeln. Die Entwicklung von Prevent lässt sich in zwei Phasen aufteilen.31)

Die erste Phase stand im Zeichen der Vorbeugung des religiös begründeten Extremismus (Islamismus/Salafismus) durch den intensiven Austausch mit muslimischen Gemeinden. Vordergründiges Ziel von Prevent 1 war die Stärkung „moderater“ muslimischer Gruppen auf nationaler, lokaler und kommunaler Ebene. Dementsprechend wurde die Leitung von Prevent dem Ministerium für Gemeinden und kommunalen Verwaltungen übertragen. Von 2007 bis 2011 wurden u. a. Pilotprojekte mit Ausrichtung auf die Förderung von Frauen und jungen Menschen umgesetzt und ab 2008 ausgeweitet. Zeitgleich wurden unter der Leitung der Abteilung für Sicherheit und Terrorismusbekämpfung des Innenministeriums Polizeistellen für den Einsatz in der Präventionsarbeit ausgebaut.

Seit Beginn wird Prevent sowohl in Großbritannien als auch in Europa kontrovers diskutiert. Die zunehmende „Versicherheitlichung“ von Prevent und die damit einhergehende stärkere Rolle von Polizei und Sicherheitsbehörden sowie der thematische Fokus auf Einwanderung, Sicherheit, Religion und Terrorismus ließen den Verdacht eines „Ausspionierungsprogramms“ laut werden, das kein anderes Ziel verfolge, als die vorwiegend muslimischen Gemeinden unter Generalverdacht zu stellen.32) Die erste Version des Programms wurde 2011 durch eine überarbeitete Version – Prevent 2 – abgelöst. Die Federführung wurde hierfür auf das Innenministerium übertragen. Dieser Führungswechsel wies auch auf eine inhaltliche Neujustierung des Programms hin. Prevent 2 wurde mit der Zielsetzung initiiert, eine ganzheitliche und phänomenübergreifende Extremismusbekämpfung zu verfolgen. Der Schwerpunkt liegt jedoch weiterhin auf dem Phänomen des religiös begründeten Extremismus (Islamismus/Salafismus).

MitPrevent Duty (einer sogenannten gesetzlichen Verpflichtung zur Prävention), auch bekannt als Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung Counter-Terrorism and Security Act (Gesetz zur Terrorismusbekämpfung und Sicherheit – CSTA)“ sind seit 2015 Schulen, Universitäten, der NGO-Sektor, öffentliche Einrichtungen wie das Gesundheitswesen33) und muslimische Gemeinden gesetzlich angehalten, an Fortbildungen zur Sensibilisierung gegenüber extremistischen Tendenzen teilzunehmen. Etwaige von Radikalisierung betroffene Verdachtsfälle sollen an die Sicherheitsbehörden gemeldet werden.34)

Die zunehmende Debatte um Extremismus, Migration und Terrorgefahr erschwerte auch die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Behörden. In der ersten Phase von Prevent befanden sich die muslimischen Gemeinden in einem Dilemma. Entweder sie würden die Fördermittel ablehnen, um sich vor einer Kritik über fehlende Integrität und Unabhängigkeit gegenüber staatlichen Instanzen zu schützen oder sie annehmen, um in Zeiten von Kürzungen öffentlicher Mittel in Großbritannien über ausreichende finanzielle Mittel zur Umsetzung und Gestaltung ihrer Projekte zu verfügen. Die aktuelle Entwicklung der Extremismusprävention in Großbritannien deutet auf einen Neuanfang nationaler und lokaler Zusammenarbeit hin. Die Regierung erkennt offenbar an, dass wirksame Maßnahmen im Kampf gegen den Extremismus auf das Wissen lokaler und kommunaler Experten angewiesen sind.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen