Bundeskriminalamt (BKA)

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Dänemark

Dänemarks Wohlfahrtsstaat und umfangreiche Maßnahmen zur Teilhabe im Bildungs-/Ausbildungs- bzw. Arbeitssektor wurden viele Jahre von Forschung und Praxis als die wirksamste Abwehrstrategie gegen Kriminalität und gewaltbereiten Extremismus angesehen. Anfang der 2000er-Jahre wurde die landesweite Aufmerksamkeit auf alarmierende Nachrichten der Sozialbehörden gelenkt. Diese warnten vor einer „Ghettoisierung“ bestimmter Stadteile wie Brabrand am Rande der Stadt Aarhus und Nørrebro in Kopenhagen. Die aufkommende Kriminalität und soziale Spannungen würden den Nährboden für Desintegration und Radikalisierung begünstigen. Zeitweise standen gewaltbereite Rechtsextremisten in Aarhus im Fokus der Sicherheitsbehörden. Die Veröffentlichung der Mohammad Karikaturen35) in der Zeitung Jylland Posten (2005) und die darauffolgenden Morddrohungen gegen den Karikaturisten Kurt Westergaard offenbarten die sozialen und integrationspolitischen Herausforderungen, mit denen sich Staat und Zivilgesellschaft konfrontiert sahen. Die Anschläge von Madrid und London ließen die Rufe nach effektiven Maßnahmen zur Prävention von Extremismus und Radikalisierung von Individuen laut werden und verschoben den Blick auf das Phänomen des religiös begründeten Extremismus (Islamismus/Salafismus).

Die Verwaltung der Stadt Aarhus und die Polizeibehörde von Østjylland36) beschlossen 2005, enger zusammenzuarbeiten, um frühzeitige Maßnahmen gegen Radikalisierungsprozesse zu ergreifen.37) Eine interministerielle Arbeitsgruppe entwickelte 2009 mithilfe von Vertretern aus Sicherheitsbehörden, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Kommunen und muslimischen Gemeinden einen Aktionsplan mit 22 Maßnahmen zur „Bekämpfung von Extremismus und Radikalisierung“.38) Über Präventionsmaßnahmen hinaus umfasste dieser Aktionsplan eine Reihe gezielter Interventionsmaßnahmen und Frühwarnsysteme, um pädagogische Fachkräfte zu sensibilisieren und auf Anzeichen von Radikalisierung und extremistischer Weltbilder vorzubereiten.39) Das unter dem „Aarhus Modell“ bekannte dänische Modell fußt auf dem Prinzip der vollständigen Rehabilitierung strafrechtlich auffälliger Personen, ihrem Recht, als vollwertige Mitglieder an der dänischen Gesellschaft teilzuhaben und eine im Vergleich einzigartige gesetzliche Grundlage zur Zusammenarbeit zwischen Schulen, Sozialbehörden und Polizei, bekannt als SSP-Kooperation.40) Hervorzuheben ist das seit 2009 angewandte System von Mentorinnen und Mentoren. Diese, häufig ehemalige oder aktive Polizeibeamtinnen und -beamte sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, betreuen betroffene Personen individuell, um Radikalisierungsprozessen vorzubeugen oder diese abzuschwächen. Dieses Modell wurde zunächst in den Städten Aarhus, Kopenhagen und Odense erprobt und anschließend landesweit eingeführt. 2014 wurde das Exit-Programm für radikalisierte Anhänger des religiös begründeten Extremismus (Islamismus/Salafismus) gegründet. Dies überschnitt sich zeitlich mit den Reisebewegungen von ca. 35 Jugendlichen aus Aarhus, die zwischen 2013 und 2014 in die Kampfgebiete von Syrien und dem Irak ausgereist waren.41)

Die zentrale Anlaufstelle für die SSP Kooperation zwischen Polizei, Stadt und Kommune ist das 2010 in Aarhus eröffnete Informationshaus „Infohuset“. Hier treffen Sozialarbeit- und Jugendschutzteams zusammen, um sich zunächst über die betreffenden Personen auszutauschen und anschließend mit ihnen in direkten Kontakt zu treten.42) Die Polizei versorgt die Teams mit notwendigen Hintergrundinformationen zur Person und ist Ansprechpartner bei Fragen der Risikoeinschätzung.

Zwar erwarteten Beobachter aus Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden, dass Infohuset und weitere initiierte Extremismuspräventions-Programme nach einem Wahlerfolg der rechtspopulistischen Volkspartei 2015 eingestellt würden, diese Befürchtungen sind bislang jedoch nicht eingetreten. Über den dänischen Ansatz finden dennoch weiterhin kontroverse Diskussionen statt. Wie im Falle Großbritanniens spaltet das Modell Zivilgesellschaft und Politik entlang der Frage von Sicherheit und Freiheit. Die Maßnahmen wären nicht ausreichend geprüft, würden Minderheiten unter Generalverdacht stellen und die Befugnisse der Sicherheitsbehörden erweitern. Dänemark gilt jedoch europaweit als Maßstab für gelungene Kooperation zwischen zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren auf lokaler und kommunalerer Ebene. Dem dänischen Ansatz liegen Vorbilder aus Großbritannien und den Niederlanden zugrunde, deren Erfahrungen als Lernprozesse genutzt und in die Entwicklung des dänischen Modells integriert werden konnten.43)

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen