Bundeskriminalamt (BKA)

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Prävention für Jedermann? – Zielgruppen und Fokus

Wie in Kapitel 5 ausführlicher beschrieben, lassen sich grundsätzlich zwei Zielgruppen präventiver Maßnahmen unterscheiden: Die (potenziell) Betroffenen selbst (unmittelbare, direkte Prävention) sowie deren soziales Umfeld (z. B. Familie, Lehrerinnen und Lehrer, Justizvollzugsmitarbeiter), über das indirekt Personen erreicht werden sollen, die sich (potenziell) radikalisieren (könnten).

Ein Anteil von 77 % aller präventiven Maßnahmen richtet sich direkt an (potenziell) betroffene Jugendliche und/oder (junge) Erwachsene. Dies deckt sich auch mit den Altersklassen, die entwicklungspsychologisch bedingt von vornherein viele Risikofaktoren mit sich bringen und am stärksten mit dem Thema Radikalisierung assoziiert werden. Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter hingegen werden nur von etwa jedem fünften Angebot angesprochen (19 %). Für sie bleibt zu berücksichtigen, dass dies nur einen Teil der präventiven Maßnahmen für diese Altersstufe abbildet, für die insgesamt ein breites Angebot zur Vorbeugung allgemeinen kriminellen Verhaltens zur Verfügung steht.

In der Regel setzt dieses weit im Vorfeld kritischer Entwicklungen an und stärkt vor allem grundlegende Schutzfaktoren, die ganz allgemein zur Vermeidung selbst- und fremdschädigenden Verhaltens, wie z. B. Suchtentwicklung, aggressives oder kriminelles Verhalten, beitragen. Für gewöhnlich stellen diese Präventionsprojekte daher noch keinen konkreten Bezug zu einem speziellen Handlungsfeld her und lassen sich dementsprechend auch nicht unter dem Etikett „Extremismusprävention“ einordnen, obwohl sie dieser natürlich zugutekommen.

Extremismus & soziales Umfeld

Erfahrungsgemäß kommt dem sozialen Umfeld sich (potenziell) radikalisierender Personen eine wichtige Bedeutung zu wenn es darum geht, Radikalisierungstendenzen zu erkennen (sog. Indikatorfunktion). Zum einen sucht das soziale Umfeld in der Regel noch vor dem Betroffenen selbst nach Rat und Unterstützung (z. B. bei Beratungsstellen oder Hotlines), zum anderen sind Radikalisierte nicht immer direkt ansprechbar – hier bietet das soziale Umfeld häufig eine gute Zugangsmöglichkeit (z. B. über die Familie, Peergroup oder Institutionen wie Schulen oder Vereine).

Aufklärung- und Sensibilisierungsarbeit spielen vor diesem Hintergrund eine ebenso wichtige Rolle, wie das gezielte Schaffen von Anlaufstellen an die sich Familienangehörige, Freunde, enge Verwandte sowie Fachpersonal aus Erziehung/Bildung, religiösen Gemeinden oder der öffentlichen Verwaltung wenden können.

Das Säulendiagramm zu der Verteilung nach Zielgruppen enthält folgende Verteilung: Potentiell Betroffene: knapp unter 80%, Familie/Freunde/Bekannte: ca. 25%, Fachpersonal: knapp über 80%.
Abb. 3: Verteilung nach Zielgruppen (inkl. Mehrfachnennungen pro Angebot)

Entsprechend des in Kap. 5.1 umfassend dargestellten IOM-Modells lassen sich diese im Bereich der allgemeinen Förderung ansiedeln.

Dem gegenüber steht jedoch auch ein umfangreiches Angebot indirekter Maßnahmen, die sich an das soziale Umfeld richten (vgl. Abb. 3). Dies unterstützt zwar einerseits den oft getätigten Vorwurf, das Problem werde an Fachfremde übertragen, andererseits wird jedoch klar, dass der Bedeutung des sozialen Umfelds auch in der Prävention Rechnung getragen wird.

Genderspezifische Angebote, also solche, die sich speziell an männliche oder weibliche Betroffene richten, spielen in der Extremismusprävention nur eine nachrangige Rolle, und das, obwohl Radikalisierung in Abhängigkeit vom Geschlecht durchaus Besonderheiten mit sich bringt. Diese sind in erster Linie auf die unterschiedlichen Rollen und Funktionen zurückzuführen, die Frauen bzw. Männern innerhalb der verschiedenen Szenen zuteilwerden.

Obgleich diese Umstände längst Berücksichtigung in der Präventionspraxis finden, offenbart sich Extremismusprävention nach außen in erster Linie als geschlechtsübergreifende sowie alters- und prozessorientierte Prävention. Nur 0,5 % aller Maßnahmen richtet sich ausschließlich an Jungen und Männer sowie 2 % an Mädchen und Frauen. Dieser Umstand zeigt also, dass die Ausrichtung an Zielgruppen sich vornehmlich an Altersphasen und weniger am Geschlecht orientiert. Genderspezifische Aspekte finden unabhängig hiervon in der Regel Berücksichtigung in der praktischen Präventionsarbeit.

Neben Zielgruppe und Arbeitsformat lässt sich Extremismusprävention auch hinsichtlich des Zeitpunkts beschreiben, zu dem sie wirksam wird/werden soll. Handelt es sich hierbei um einen Zeitpunkt weit im Vorfeld etwaiger radikaler Bestrebungen, so sprechen wir von universeller oder primärer Prävention (vgl. Kapitel 5.1). Werden vornehmlich Personen oder deren soziales Umfeld angesprochen, die auf Grund bestimmter Faktoren (etwa: Sozialisation in eine kritische Peergroup) ein besonderes Risiko aufweisen, so ist von selektiver oder sekundärer Prävention (vgl. Kapitel 5.2) die Rede. Wird schließlich konkret eine Personengruppe angesprochen, die offensichtlich schon in einem extremistischen Umfeld verankert ist oder werden sonstige Maßnahmen getroffen, um ein erneute Straffälligkeit, Opferwerdung sowie das Verbleiben in extremistischen Strukturen zu verhindern, so handelt es sich schließlich um indizierte oder tertiäre Prävention („Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen“; vgl. Kapitel 5.3). Die gezielte Kombination von Maßnahmen, die einerseits im Vorfeld sowie zu unterschiedlichen Zeitpunkten im weiteren Verlauf eines (möglichen) Radikalisierungsprozesses ansetzen, ist ein zentraler Ansatz für eine ganzheitliche, möglichst breit aufgestellte Prävention. Da der Entwicklungsprozess hin zum Extremisten nicht stufenartig, sondern fließend verläuft, lassen sich auch Präventionsangebote oftmals mehreren dieser Arbeitsfelder zuordnen. Solche „Schwellenprojekte“ zeichnen sich dadurch aus, dass der Zeitpunkt, an dem sie wirksam werden, eben an der Grenze von universeller zu selektiver oder von selektiver zu indizierter Prävention liegt. Zur Schwierigkeit der Grenzziehung zwischen unterschiedlichen Präventionsansätzen vgl. auch die Kapitel 5.1-5.3 im vorliegenden Band.

Der größte Teil präventiver Maßnahmen (85 %) richtet sich an Personen, die noch nicht in Kontakt mit Extremismus und Menschen mit Radikalisierungstendenzen gekommen sind (universelle Prävention). Hierzu gehören der größte Teil der Gesamtbevölkerung sowie beispielsweise Fachpersonal aus Erziehung, Bildung und außerschulischer Jugendbildung. Etwa die Hälfte aller Angebote (47 %) richtet sich hingegen an sog. „at risk“-Personen, die auf Grund ihrer individuellen Lebenssituation ein erhöhtes Risiko aufweisen, sich in extremistische Umfelder zu sozialisieren (selektive Prävention). Gründe hierfür können beispielsweise das Aufwachsen in einer extremistischen Familie, Kontakte mit radikalisierten Gleichaltrigen oder eine Anfälligkeit für autoritäre Denkmuster sein. Außerdem existieren Projekte im Bereich selektiver Prävention, die gezielt versuchen, das soziale Umfeld von „at risk“-Personen in die Lage zu versetzen, kompetent mit entsprechenden Personen zu arbeiten und ggf. geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten. Etwas mehr als ein Drittel (35 %) der Maßnahmen bietet entweder direkt klassische Hilfeleistungen für Personen an, die fest in einer extremistischen Struktur verankert sind, vermittelt Trainings für Fachleute oder bezieht das engere soziale Umfeld, wie die Familie, mit ein, um Betroffenen einen Ausweg anbieten zu können (indizierte Prävention). In der Regel handelt es sich hierbei um Aussteigerprogramme bzw. Distanzierungsberatungen.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen