Bühne des Kapitels / Moduls
Möglichkeiten der Konflikttransformation
Exkurs 2 Komplementäre gesellschaftliche Handlungsfelder
Inhalt des Kapitels / Moduls
Das dreijährige Projekt hat zum Ziel, Dialogbereitschaft und religiöse Toleranz in einem multikulturellen und religiös diversen Umfeld zu stärken, den Ursachen von gewalttätigem Extremismus langfristig entgegenzuwirken und letztlich eine weitere Polarisierung der libanesischen Gesellschaft zu verhindern. Um dies zu ermöglichen, schafft das Projekt informelle Räume für einen regelmäßigen Austausch zwischen politisch und sozial einflussreichen Persönlichkeiten der sunnitischen Gemeinschaften. Es reagiert damit auf die zunehmenden Spannungen zwischen den libanesischen Religionsgemeinschaften, nicht zuletzt infolge des Krieges in Syrien, aber auch bedingt durch strukturelle Schwächen der libanesischen Institutionen, von denen sich viele Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft nicht repräsentiert fühlen. Diese Spannungen haben Räume für Mobilisierungs- und Rekrutierungsbemühungen ultra-radikaler Gruppierungen geschaffen und die Spaltung nicht nur zwischen den schiitischen und sunnitischen Gemeinschaften vertieft, sondern auch Radikalisierungstendenzen in Teilen der sunnitischen Bevölkerung befördert. Das Projekt bringt religiöse und sozial engagierte Persönlichkeiten innerhalb der sunnitischen Gemeinschaft im Rahmen inklusiver und informeller Dialogplattformen (z. B. Runde Tische und Workshops) zusammen, um die vielfältigen Ursachen für Radikalisierung zu identifizieren und ein gemeinsames Verständnis über effektive Präventions- und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Neben Diskussionen zu den Ursachen der Radikalisierung setzen sich die Dialogplattformen mit der aktiven Förderung von Toleranz in religiösen Medien auseinander und befassen sich mit praktikablen Ansätzen zur Förderung von Pluralismus und Toleranz in der religiösen Erziehung. Durch regelmäßigen Austausch wird der sunnitische Dialog gefördert, es werden moderate Ansichten und religiöse Toleranz gestärkt und dadurch letztlich dem gewaltsamen Extremismus alternative Botschaften entgegengesetzt. Begleitet werden die Dialogplattformen durch kapazitätsaufbauende Maßnahmen im Bereich der Dialoggestaltung, der Mediation, Kommunikation sowie der (medialen) Öffentlichkeitsarbeit.
In den Dialogen arbeitet das Projektteam mit einer breit aufgestellten Kerngruppe einflussreicher sunnitischer Persönlichkeiten, darunter Imame, religiöse Gelehrte, Lehrende und Gemeindevertreterinnen und -vertreter. Durch die Einbindung dieses großen Spektrums an Akteurinnen und Akteuren wird sichergestellt, dass eine möglichst breite Schicht der sunnitisch-libanesischen Gemeinschaft erreicht wird; insbesondere jene Gruppen, die sich aufgrund politischer, sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung häufig als ausgegrenzt wahrnehmen. Um die Reichweite des Projektes weiter zu erhöhen und Herausforderungen in verschiedenen Regionen des Libanon zu berücksichtigen, finden Treffen nicht nur in Beirut, sondern auch in anderen Städten des Landes statt, wo sich die Kerngruppe mit lokalen Regierungsvertreterinnen und -vertretern und einflussreichen Persönlichkeiten der Gemeinden austauscht.
Anders als viele Projekte zur Prävention islamistischer Radikalisierung geht das vorliegende Projekt über die gängige formelle, oft nur symbolische Beteiligung religiöser Akteurinnen und Akteure hinaus und anerkennt Religion, ihre Vertreterinnen und Vertreter, ihre Institutionen und Symbole sowie theologische und religionswissenschaftliche Ansätze als integralen Bestandteil der Deradikalisierungsarbeit. Dieser Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass Bemühungen zur Stärkung von Dialogbereitschaft und religiöser Toleranz nur dann wirksam sein können und auf Akzeptanz bei den Betroffenen stoßen, wenn sie gesellschaftlich verankert und aus der entsprechenden Gemeinschaft heraus initiiert und getragen werden.
Das vorliegende Projekt liefert jedoch nicht nur wichtige Erkenntnisse über die Rolle religiöser Akteurinnen und Akteure in der Präventionsarbeit im Libanon, sondern kann angesichts der Tatsache, dass sich – analog zur sunnitischen Gemeinschaft im Libanon – auch viele Angehörige der muslimischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland von den politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und gesellschaftlich ausgegrenzt wahrnehmen, auch zur besseren Gestaltung der Präventionsarbeit in Deutschland im Bereich der islamistischen Radikalisierung beitragen. Denn ohne ihre Bedeutung angesichts der sehr vielfältigen Ursachen von gewaltsamem Extremismus zu überschätzen, hat das vorliegende Projekt gezeigt, dass religiöse Akteurinnen und Akteure einen wertvollen Beitrag zur Überwindung einiger dieser Ursachen leisten können, der so von niemand anderem und keiner anderen Institution geleistet werden kann.
Unbeabsichtigte Auswirkungen verstehen und kontrollieren: konfliktsensitive Präventionsarbeit
Politische Interventionen und Hilfsmaßnahmen – ob entwicklungspolitischer, friedensfördernder oder deradikalisierender Natur – vollziehen sich nie in einem Vakuum. Zusammen mit den Akteurinnen und Akteuren, die sie ausführen, bilden sie immer einen Teil des sozialen, politischen und ökonomischen Gesamtkontextes und können daher neben den beabsichtigten Effekten auch unbeabsichtigte, gegebenenfalls auch dem Projektziel entgegengesetzte Auswirkungen auf die jeweilige Konfliktdynamik haben. Erfolgsorientierte Prävention setzt insofern immer eine eingehende Analyse von lokalen Gegebenheiten und struktureller Ursachen von Extremismus voraus und, darauf aufbauend, eine konfliktsensitive Ausgestaltung der Planung, Implementierung und des Monitorings von Projekten. Als grundlegende Richtlinie gilt hier das Do-No-Harm-Prinzip,9) das potenzielle kurz- und langfristige Auswirkungen von Projektaktivitäten in allen Phasen des Projektzyklus berücksichtigt und es Organisationen so erlauben soll, bestmögliche Ergebnisse unter weitgehendem Ausschluss von nachteiligen Effekten für die Gesellschaft zu erzielen. Um dies zu erreichen, sind ganzheitliche Interventionsstrategien im Sinne des 3C-Ansatzes („coordinated, complementary and coherent action“) notwendig, also in sich schlüssige und abgestimmte Strategien, die auf die vielfältigen Ansätze und Aktivitäten relevanter internationaler, nationaler und lokaler Akteure Rücksicht nehmen. Sie gehen Radikalisierung damit nicht als isoliertes Phänomen an, sondern wirken auch den unsichtbaren strukturellen sowie sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten entgegen. Nur so können gesellschaftliche Strukturen gestärkt, extremistische Ideologien mit einem pluralistischen, inklusiven und sozial gerechten demokratischen Modell infrage gestellt und letztlich die Ursachen von gewalttätigem Extremismus effektiv und nachhaltig bekämpft werden.10)
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Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul
Fussnoten
1)
Seit 1992 unterstützt die Bundesregierung Programme zur Extremismusprävention. 2001 wurde diese Förderung um Maßnahmen zur Demokratieförderung ergänzt (siehe Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung 2016).
2)
Stand Juli 2016.
3)
Siehe Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung 2016.
4)
Drachenfels/Offermann/Wunderlich 2018, 94.
5)
Ebd., 95; sie fassen die Präventionsarbeit in Frankreich bis zum Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar 2015 unter dem Begriff „präventive strafrechtliche Neutralisierung“ in der Form frühzeitiger staatlicher Repressionsmaßnahmen zusammen (siehe auch Ragazzi 2014).
6)
Drachenfels/Offermann/Wunderlich 2018, 99.
7)
Ebd. 2018.
8)
Siehe Gopin 2000; Appleby 2000; Abu-Nimer 2003.
9)
Collaborative Learning Projects 2016.
10)
Siehe auch Berghof Handbook Dialogue Series 2018.
11)
Koehler 2017, 164, 183.
12)
Ebd. 95; Kundnani 2009, 8.
Literatur
Abu-Nimer, Mohammed (2003): Nonviolence and Peace Building in Islam: Theory and Practice. Gainesville, FL, University Press of Florida.
Appleby, R. Scott (2000): The Ambivalence of the Sacred: Religion, Violence, and Reconciliation. Lanham, Rowman & Littlefeld Publishers, Inc.
Austin, Beatrix/Giessmann, Hans J. (2018) (Hrsg.): Transformative Approaches to Violent Extremism. Handbook Dialogue Series No. 13. Berlin,
Berghof Foundation. Berghof Handbook Dialogue Series (2018). Berlin, Berghof Foundation.
Drachenfels, Magdalena von/Offermann, Philipp/Wunderlich, Carmen (2018): Radikalisierung und De-Radikalisierung in Deutschland. Eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Frankfurt a. M., Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfiktforschung.
Gopin, Marc (2000): Between Eden and Armageddon: The Future of World Religions, Violence, and Peacemaking. Oxford, Oxford University Press.
Koehler, Daniel (2017): Understanding Deradicalization: Methods, tools and programs for countering violent extremism. New York, Routledge.
Kundnani, Arun (2009): Spooked: How not to prevent violent extremism. London, Institute of Race Relations.
Ragazzi, Francesco (2014): Towards „Policed Multiculturalism“? Counter-Radicalization in France, Netherlands and the United Kingdom. Online: https://www.sciencespo.fr/ceri/sites/sciencespo.fr.ceri/fles/Etude_206_anglais.pdf (Zugang: 11.10.2019).
Thomas, Paul (2010): Failed and Friendless: The UK’s ‘Preventing Violent Extremism’ Programme. In: The British Journal of Politics & International Relations, Vol. 12, Nr. 3, S. 442-458.
Quellen
Brot für die Welt (2017): The impact of international counter-terrorism on civil society organisations. Online: https://www.brot-fuer-die-welt.de/fleadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analysis_68_The_impact_of_international_counterterrorism_on_CSOs.pdf (Zugang: 11.10.2019).
Bundesregierung (2016): Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung. Online: https://www.bmfsf.de/bmfsf/service/publikationen/strategie-der-bundesregierung-zur-extremismuspraevention-und-demokratiefoerderung/109024 (Zugang: 11.10.2019).
Collaborative Learning Projects (CDA) (2016): Do No Harm Workshop Participant’s Manual. Cambridge, MA, CDA.
Financial Action Taskforce (2014): Risk of Terrorist Abuse in Non-Proft Organisations. Online: http://www.fatf-gaf.org/media/fatf/documents/reports/Risk-of-terrorist-abuse-in-non-proft-organisations.pdf (Zugang: 11.10.2019).