Bühne des Kapitels / Moduls
Möglichkeiten der Konflikttransformation
Exkurs 2 Komplementäre gesellschaftliche Handlungsfelder
Inhalt des Kapitels / Moduls
Herausforderungen effektiver Präventionsarbeit
Präventionsarbeit – speziell in religiös geprägten Kontexten – hat auf konzeptioneller, praktischer und gesellschaftlicher Ebene mit einer Reihe von Hindernissen zu kämpfen, wovon einige hier abschließend zusammengefasst werden:
- Eine systematische, standardisierte Evaluation der Konzeption, Ausgestaltung, Umsetzung und Wirksamkeit von Präventionsprogrammen gestaltet sich in den meisten Fällen schwierig. Wie soll zuverlässig beurteilt werden, was vermieden werden kann, wenn der kritische Fall noch nicht eingetreten ist? Wie sollen zuverlässig Rückschlüsse auf die antreibenden Faktoren der Radikalisierung gezogen werden können, wenn diese Faktoren nicht nur vielfältiger Natur sind, sondern in vergleichbaren Kontexten auch unterschiedliche Wirkung entfalten? Jede Bewertung von Präventionsprogrammen ist und bleibt kontext-spezifisch und umfasst vielseitige Indikatoren wie Rückfälligkeitsraten von Teilnehmenden des Programmes, das Ausmaß an extremistischen Aktivitäten und an effektiver Rekrutierung, die Nachfrage und die Verfügbarkeit von Beratungsangeboten usw. Der Erfolg der Prävention bleibt unter allen Umständen schwerer zu beurteilen als deren Misserfolg im Ergebnis ihres Scheiterns. Prävention setzt die Vorwegnahme der Folgen unternommener Maßnahmen ebenso voraus wie ständiges Lernen aus durchgeführtem Handeln. Natürlich kann Prävention einen extremistischen Akt nicht ausschließen. Sie kann aber den Zusammenhang beeinflussen, in dem sich Radikalisierung vollzieht und ausbreiten kann. Sie kann die Akzeptanz für Extremismus verringern und toleranten Verhaltensmustern den Weg ebnen. Interesse und Beteiligung an Dialog- und Bildungsprogrammen eignen sich hierfür als Indikator. In der Praxis können jedoch vor allem qualitative Indikatoren nur selten gemessen und die Wirksamkeit eines Präventionsprogrammes somit auch nur selten akkurat quantifiziert werden, zumal der Mangel an finanziellen Mitteln, gelegentlich bewusste Intransparenz aufgrund der Sensibilität der involvierten Akteure oder aber auch die naturgemäß langfristig angelegte Wirksamkeit von Präventionsprogrammen das Monitoring und die Datenerhebung erschweren.11)
- Präventionsarbeit kann in der Öffentlichkeit nicht nur positiv, sondern als Instrument zur staatlichen Überwachung und Einschränkung der Bürgerrechte wahrgenommen werden und damit Misstrauen in betroffenen Gemeinschaften hervorrufen. Beispiele hierfür sind die Diskussionen um das „Aarhus-Modell“ in Dänemark, das britische Prevent-Programm oder die französische Familienberatungsstelle, allesamt Projekte, die bei den Polizeibehörden angesiedelt oder sehr eng mit ihnen verflochten sind. Tatsächlich wurden viele Deradikalisierungsprogramme bewusst auch zu Überwachungs- und Datenerhebungszwecken genutzt, insbesondere im Nahen Osten und in Südostasien, vermehrt aber auch in Westlichen Staaten.12)
- Durch den starken Fokus der Präventionsarbeit auf Mitglieder von Minderheitsgemeinschaften läuft die Präventionsarbeit Gefahr, dem Anliegen des sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalts zuwiderzulaufen und die Beziehung zwischen den staatlichen Institutionen und dieser Gemeinschaft zu belasten. So kann zum Beispiel der Fokus auf die Radikalisierung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft zu einer von deren Mitgliedern wahrgenommenen Diskriminierung führen. Im politischen Kontext äußert sich dies unter anderem in der Kritik an einer vermeintlichen geringeren Aufmerksamkeit für Aktivitäten rechtsextremer Gruppierungen. Prävention, die als Stigmatisierung einer Gruppe im Vergleich zu anderen wahrgenommen wird, läuft Gefahr, eine gegenteilige Wirkung als beabsichtigt zu erzielen: Radikalisierung als Schutzreflex. Umgekehrt kann aber auch eine übermäßige Zuwendung für eine bestimmte Gruppe als Ausdruck präventiver Maßnahmen zu kritischen Einwendungen anderer Gruppen führen, die eine ungerechtfertigte Privilegierung vermuten. Auch in diesem Falle ist eine Radikalisierung in den Einstellungen, z. B. im Verhältnis ethnisch-religiöser Gemeinschaften zueinander, nicht auszuschließen (Thomas 2010).
- Interreligiöse Präventionsarbeit bedarf konzeptioneller Schärfung. Ein großer Teil der Literatur stützt sich bei der Theoriebildung nicht auf belegbare und systematische Forschung, sondern auf anekdotische oder abstrakte Konzepte oder auf Konzepte aus der weltlichen Präventionsarbeit, die der Einzigartigkeit interreligiöser Präventionsarbeit nicht gerecht werden. Dies beeinträchtigt die Wirksamkeit von Instrumenten, um religiöse Akteurinnen und Akteure sowie Dimensionen stärker in die Präventionsarbeit zu integrieren (Berghof Handbook Dialogue Series 2018).
- Schließlich können auch gesetzliche Einschränkungen die zivilgesellschaftliche Präventionsarbeit erschweren oder gar unmöglich werden lassen. Die Empfehlungen der Financial Action Task-Force (FATF), die darauf abzielen, Terrorfinanzierung zu verhindern, führt als unerwünschten, mancherorts allerdings auch leider durchaus erwünschten Nebeneffekt in zahlreichen Ländern zu rechtlichen und operativen Einschränkungen für die Tätigkeit von zivilgesellschaftlichen und nichtstaatlichen Organisationen. Unter Verweis auf den möglichen Missbrauch von Nichtregierungsorganisationen durch terrorismusverdächtige oder auch nur mutmaßlich unterstützende Organisationen können auf der Basis der Empfehlungen der FATF Sanktionen auch gegen Nichtregierungsorganisationen verhängt werden, welche mit diesen Kontakte unterhalten. Da einige Staaten manche Vereinigungen bereits als Terrorgruppen definieren, wenn sie der politischen Opposition zugerechnet werden, droht unter dem Deckmantel der Prävention die Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten. Ebenso können höhere Anforderungen an das Risikomanagement von Banken entstehen, die Non-Governmental Organizations im Bereich der Radikalisierungsprävention zu unliebsamen Kunden werden lassen und so deren Zugang zu notwendigen Finanzdienstleistungen erschweren. Während eine politische Instrumentalisierung der FATF-Empfehlungen in Deutschland nicht zu befürchten ist, so ist doch zumindest ein behördlicher Fokus auf muslimische Organisationen zu erwarten, was die zivilgesellschaftliche Präventionsarbeit zur Verhinderung muslimischer Radikalisierung erheblich einschränken könnte (Financial Action Task Force 2014; Brot für die Welt 2017).
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Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul
Fussnoten
1)
Seit 1992 unterstützt die Bundesregierung Programme zur Extremismusprävention. 2001 wurde diese Förderung um Maßnahmen zur Demokratieförderung ergänzt (siehe Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung 2016).
2)
Stand Juli 2016.
3)
Siehe Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung 2016.
4)
Drachenfels/Offermann/Wunderlich 2018, 94.
5)
Ebd., 95; sie fassen die Präventionsarbeit in Frankreich bis zum Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar 2015 unter dem Begriff „präventive strafrechtliche Neutralisierung“ in der Form frühzeitiger staatlicher Repressionsmaßnahmen zusammen (siehe auch Ragazzi 2014).
6)
Drachenfels/Offermann/Wunderlich 2018, 99.
7)
Ebd. 2018.
8)
Siehe Gopin 2000; Appleby 2000; Abu-Nimer 2003.
9)
Collaborative Learning Projects 2016.
10)
Siehe auch Berghof Handbook Dialogue Series 2018.
11)
Koehler 2017, 164, 183.
12)
Ebd. 95; Kundnani 2009, 8.
Literatur
Abu-Nimer, Mohammed (2003): Nonviolence and Peace Building in Islam: Theory and Practice. Gainesville, FL, University Press of Florida.
Appleby, R. Scott (2000): The Ambivalence of the Sacred: Religion, Violence, and Reconciliation. Lanham, Rowman & Littlefeld Publishers, Inc.
Austin, Beatrix/Giessmann, Hans J. (2018) (Hrsg.): Transformative Approaches to Violent Extremism. Handbook Dialogue Series No. 13. Berlin,
Berghof Foundation. Berghof Handbook Dialogue Series (2018). Berlin, Berghof Foundation.
Drachenfels, Magdalena von/Offermann, Philipp/Wunderlich, Carmen (2018): Radikalisierung und De-Radikalisierung in Deutschland. Eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Frankfurt a. M., Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfiktforschung.
Gopin, Marc (2000): Between Eden and Armageddon: The Future of World Religions, Violence, and Peacemaking. Oxford, Oxford University Press.
Koehler, Daniel (2017): Understanding Deradicalization: Methods, tools and programs for countering violent extremism. New York, Routledge.
Kundnani, Arun (2009): Spooked: How not to prevent violent extremism. London, Institute of Race Relations.
Ragazzi, Francesco (2014): Towards „Policed Multiculturalism“? Counter-Radicalization in France, Netherlands and the United Kingdom. Online: https://www.sciencespo.fr/ceri/sites/sciencespo.fr.ceri/fles/Etude_206_anglais.pdf (Zugang: 11.10.2019).
Thomas, Paul (2010): Failed and Friendless: The UK’s ‘Preventing Violent Extremism’ Programme. In: The British Journal of Politics & International Relations, Vol. 12, Nr. 3, S. 442-458.
Quellen
Brot für die Welt (2017): The impact of international counter-terrorism on civil society organisations. Online: https://www.brot-fuer-die-welt.de/fleadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analysis_68_The_impact_of_international_counterterrorism_on_CSOs.pdf (Zugang: 11.10.2019).
Bundesregierung (2016): Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung. Online: https://www.bmfsf.de/bmfsf/service/publikationen/strategie-der-bundesregierung-zur-extremismuspraevention-und-demokratiefoerderung/109024 (Zugang: 11.10.2019).
Collaborative Learning Projects (CDA) (2016): Do No Harm Workshop Participant’s Manual. Cambridge, MA, CDA.
Financial Action Taskforce (2014): Risk of Terrorist Abuse in Non-Proft Organisations. Online: http://www.fatf-gaf.org/media/fatf/documents/reports/Risk-of-terrorist-abuse-in-non-proft-organisations.pdf (Zugang: 11.10.2019).