Bühne des Kapitels / Moduls
Wie Terroristen uns Journalisten benutzen
Exkurs 3 Komplementäre gesellschaftliche Handlungsfelder
Inhalt des Kapitels / Moduls
Wir halten Terroristinnen und Terroristen für viel gefährlicher als Amokläuferinnen und -läufer. Dabei ist das Risiko, bei einem Amoklauf zu sterben, in Wirklichkeit viel höher.
In unserer Wahrnehmung haben wir etwas relativ Ungefährliches gefährlich gemacht. Das ist ein riesiger Erfolg für die terroristische Szene. Sie haben diese Verdrehung mit ihrer Propaganda fest in uns verankert. Wenn aber die Wichtigkeit, die wir einer Attentäterin oder einem Attentäter zuschreiben, konstruiert ist, dann müssten wir sie auch dekonstruieren können, sodass wir beim nächsten Mal auf einen Terroranschlag mit dem gleichen Gemütszustand reagieren, den wir nach dem Durchatmen in München hatten.
Hätten wir das schon damals geschafft, hätte das vielleicht Morde verhindert. Michael Jetters Studie über den terroristischen Werther-Effekt war damals noch nicht veröffentlicht. Aber als ich sie später las, musste ich an die Tage vor und nach München zurückdenken, denn der Amoklauf war damals ja nicht die erste, nicht die einzige Gewalttat. Erst verübte ein Islamist einen Axtangriff in einem Regionalzug in Würzburg. Riesige Pressewelle.
Vier Tage später der Amoklauf. Alle berichteten. Zwei Tage später sprengte sich ein Attentäter in Ansbach in die Luft. Es scheint, als überspringe der Werther-Effekt mühelos ideologische Gräben. Wer zur Gewalt neigt, imitiert eine gerade gesehene Pose: eine Amokläuferin bzw. ein Amokläufer die einer Islamistin bzw. eines Islamisten und umgekehrt.
Natürlich mache ich mir keine Illusionen. Ein medialer Terrorblackout wird uns nicht gelingen. Es würde ja nicht genügen, wenn zum Beispiel die ZEIT aufhören würde zu berichten. Auch der Spiegel, der Stern, die SZ, die Bild, kurz: Alle deutschen Medien müssten mitmachen. Und selbst das würde nicht reichen. Viele Deutsche informieren sich über die BBC, die New York Times oder die Neue Zürcher Zeitung.
Und dann sind da natürlich noch die sozialen Medien, die jenseits des journalistischen Filters existieren. Man könnte ja nicht verhindern, dass irgendwer twittert: „Je suis Charlie“ und alle es nachmachen. Oder dass irgendeine Augenzeugin oder ein Augenzeuge ein Wackelvideo von toten Menschen postet wie nach Barcelona. Man würde Blut sehen oder eine Attentäterin bzw. einen Attentäter „Allahu Akbar“ rufen hören – ich will mir gar nicht ausmalen, welches Fest die Lügenpresse-Ruferinnen und -Rufer feiern würden, wenn dann kein Artikel dazu in der Zeitung stünde. Die Medien würden als Kartell beschimpft, das Informationen unterdrückt, und das auch noch zu Recht.
Die Terroristinnen und Terroristen wissen: Wir können nicht anders – und das nutzen sie aus.
Aber wir können von vielen schlechten Lösungen die besseren wählen. Das bedeutet: grundsätzlich so wenig Berichterstattung wie möglich. Nur, wenn es eine neue Information gibt. Dann nicht in Dauerschleife. Kurz, wenn möglich nicht als Aufmacher, sondern weiter hinten in der Sendung oder der Zeitung. Nicht sensationsgeladen, sondern nüchtern. Keine Bilder der weinenden Nonne benutzen, auch wenn man weiß, dass es starkes Fernsehen wäre.
Genauso wichtig wie der Umfang der Berichterstattung ist ihr Fokus. Am besten keine Berichterstattung über die Täterin oder den Täter. Keine Videos von ihr oder ihm, keine Fotos, schon gar nicht auf der Titelseite, keine biografischen Details, wenn möglich noch nicht mal ihren bzw. seinen Namen und wenn doch, dann abgekürzt. Alles was sie oder ihn glorifiziert, was Ruhm und Bekanntheit bedeutet, muss verhindert werden. Lieber die Opfer in den Vordergrund rücken, aber auch hier gilt: dem Impuls widerstehen und möglichst unemotional berichten.
Mit welcher Sprache sollten wir uns dem Thema widmen? Jedenfalls nicht mit der Terminologie der Täterinnen und Täter. Wir sollten nicht von „Krieg“ reden, nicht von „Kriegerinnen und Kriegern“, schon gar nicht von „Gotteskriegerinnen und -kriegern“. Auch nicht von „Soldatinnen und Soldaten“ oder „Schlachten“. Das Wort „heilig“ sollten wir vermeiden genauso wie alles andere, was die Täterin bzw. den Täter überhöht, was sie oder ihn zum Helden machen könnte. Besser eignen sich Begriffe, die klein machen, die klar negativ konnotiert sind: „kriminell“, „Verbrecherin oder Verbrecher“, „Mörderin bzw. Mörder“.
Und noch etwas könnte man probieren. Es mag verrückt klingen, aber es wäre einen Versuch wert. Wir könnten unter Artikel über Terrorismus eine Telefonnummer einer Deradikalisierungsstelle drucken, versehen mit einem Hinweis, so wie wir es auch machen, wenn wir über einen Selbstmord berichten.
Es gibt so viele Beispiele von gesellschaftlichen Verlierern, die sich auf der Suche nach Sinn in ihrem Leben radikalisieren, dass ich es nicht für ausgeschlossen halte, den einen oder anderen Menschen mit einem Hilfsangebot zu erreichen. Die Deradikalisierungsstellen machen ja erfolgreiche Arbeit, sie haben viele Beispiele von jungen Menschen, die zurück gefunden haben ins Leben, die einsehen, dass die Radikalisierung ein Irrweg war. Den Weg zu dieser Einsicht sollten wir für Betroffene so einfach und zugänglich wie möglich machen.
All das würde das Terrorismus-Problem vielleicht ein wenig lindern. Wer es lösen will, müsste die Berichterstattung ganz sein lassen und dafür gibt es nur einen Weg: Das Interesse an den Anschlägen muss nachlassen. Wir müssen abstumpfen.
Deswegen ist jede Attacke, die uns gleichgültig lässt, jeder Anschlag, den wir schnell wieder vergessen, jeder Tag, an dem das Brandenburger Tor nicht aus Solidarität in eine Lichtflagge gehüllt ist, ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn wir nach dem nächsten Anschlag vom ARD-Brennpunkt mit den Terrorbildern umschalten und lieber Fußball gucken, dann sollten wir dies nicht mit einem schlechten Gewissen tun. Sondern mit einem guten Gefühl.