Bundeskriminalamt (BKA)

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Die Position der höchstgerichtlichen Rechtsprechung

Für die Rechtspraxis entscheidend ist die Position der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, die sich jedenfalls im Ergebnis den Vereinigungstheorien angeschlossen hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederholt mit Sinn und Zweck staatlichen Strafens befasst, von Verfassungs wegen aber keine Veranlassung gesehen, den Theorienstreit zu entscheiden. Die im Strafgesetzbuch zugrunde gelegte Vereinigungstheorie halte sich aber jedenfalls im Rahmen der dem Gesetzgeber zukommenden Gestaltungsfreiheit, einzelne Strafzwecke anzuerkennen, sie gegeneinander abzuwägen und miteinander abzustimmen.12) Das Gericht hat einerseits in Anlehnung an die absolute Theorie stets den Sühnegedanken hervorgehoben. Der Zweck der Freiheitsstrafe bestehe dementsprechend vornehmlich in einer repressiven Übelszufügung als Reaktion auf schuldhaftes Verhalten, welche – jenseits anderer denkbarer zusätzlicher Strafzwecke, die die Verfassung nicht ausschließe – dem Schuldausgleich diene.13)Strafe sei Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit und damit Reaktion auf ein normwidriges Verhalten.14) In dieser Wertung findet sich der Hegel‘sche Ansatz wieder. Andererseits hat das Gericht spezial- und generalpräventive Strafzwecke hervorgehoben. Strafe diene dem Rechtsgüterschutz und oberstes Ziel des Strafens sei es, die Gesellschaft vor sozialschädlichem Verhalten zu bewahren und die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen, wobei im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung immer der Wert des verletzten Rechtsguts und das Maß der Sozialschädlichkeit der Verletzungshandlung zu berücksichtigen seien.15) Es gehöre zu den Aufgaben der Strafe, das Recht gegenüber dem vom Täter begangenen Unrecht durchzusetzen, um die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung vor der Rechtsgemeinschaft zu erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung zu stärken.16) Dies greift die Argumentation der Lehre von der positiven Generalprävention auf. Zusammengefasst erkennt das Bundesverfassungsgericht die Strafzwecke des Schuldausgleichs, der Prävention, der Resozialisierung des Täters, der Sühne und der Vergeltung für begangenes Unrecht als Aspekte einer angemessenen Strafsanktion an.17)

Ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht sieht der Bundesgerichtshof den Schutz von Rechtsgütern als Aufgabe der Strafrechtspflege. Durch Angriffe auf die Rechtsgüter werde der Rechtsfriede gestört.18) Dies knüpft an die Grunderwägungen der Theorie von der positiven Generalprävention an. Auch der Bundesgerichtshof folgt in ständiger Rechtsprechung einer Vereinigungstheorie, wobei er – ähnlich dem früheren Begriff der Sühne – als vorrangigen Strafzweck den gerechten Schuldausgleich ansieht.19) Eine konkret verhängte Strafe darf sich danach weder nach oben noch nach unten von ihrer Bestimmung lösen, gerechter Schuldausgleich zu sein, und zudem nicht gegen rechtlich anerkannte (sonstige) Strafzwecke verstoßen.20) Zu diesen gehören auch Erwägungen der Generalprävention und der Spezialprävention.21)

Das Verhältnis der verschiedenen anerkannten Strafzwecke zueinander versucht der Bundesgerichtshof mit der sogenannten „Spielraumtheorie“ zu lösen, der zufolge die Ziele der General- und Spezialprävention nur im Rahmen der schuldangemessenen Strafe berücksichtigt werden dürfen.22) Zugleich aber hat die Strafe nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht die Aufgabe, Schuldausgleich als Selbstzweck zu üben, sondern ist nur gerechtfertigt, wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweist.23) Der Vorrang des Schuldausgleichs müsse gewahrt bleiben, sodass nicht aus präventiven Gründen eine nicht mehr schuldangemessene Strafe verhängt werden dürfe.24) Innerhalb des Spielraums, in dem eine Strafe noch schuldangemessen sei, könne das Gericht den präventiven Strafzwecken der Generalprävention und der Spezialprävention Raum geben und die Strafe mildern oder schärfen.25) Hierin kommt zum Ausdruck, dass wegen des zwingenden Gebots auf Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) der einzelne Täter niemals durch die Strafe über den gerechten Schuldausgleich hinaus zum reinen Objekt gesellschaftlicher Ziele degradiert werden darf, um an ihm ein „Exempel zu statuieren“.

Beispiel.: Ein unbelehrbarer Täter stiehlt wiederholt geringwertige Sachen. Auch wenn Gründe der Spezialprävention (den Täter „aus dem Verkehr ziehen“) und der Generalprävention (Abschreckung von Nachahmern sowie Erschütterung der Rechtstreue) für eine hohe Freiheitsstrafe sprechen würden, wird die Strafhöhe durch die konkrete Schuld begrenzt. Dies steht der Verhängung einer langjährigen Freiheitsstrafe unter Ausschöpfung des Strafrahmens (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, vgl. §§ 242, 248a StGB) in der Regel entgegen.

Andererseits darf eine Strafe aus präventiven Erwägungen nicht das zum gerechten Schuldausgleich erforderliche Mindestmaß unterschreiten.26)

Beispiel.: Der Täter eines bewaffneten Raubüberfalls wird erst viele Jahre später gefasst und verurteilt. In der Zwischenzeit hat er keine weitere Straftat begangen. Aus spezialpräventiver Sicht wäre eine empfindliche Strafe nicht veranlasst, da eine Einwirkung auf den Täter nicht erforderlich ist und von ihm keine neuen Straftaten zu erwarten sind. Auch Gründe der Generalprävention legen eine hohe Strafe nicht unbedingt nahe, da der Rechtsfriede nach so langer Zeit der Rechtstreue nicht mehr nachhaltig gestört ist. Gleichwohl gebietet der gerechte Schuldausgleich die Verhängung einer angemessenen Strafe innerhalb des zur Verfügung stehenden Strafrahmens (Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, vgl. § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, im minder schweren Fall Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, vgl. § 250 Abs. 3 StGB).

Der gerechte Schuldausgleich begrenzt also die konkrete Strafzumessung nach oben wie nach unten.27) Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass Generalprävention sowohl in der positiven Variante (Stärkung von Rechtstreue) als auch in der negativen Variante (Abschreckung) nur zu einer Strafschärfung führen kann.28) Spezialpräventive Erwägungen können hingegen zu Schärfung29) oder Milderung30) führen. Insbesondere eine Strafschärfung aus generalpräventiven Erwägungen zur Abschreckung hält der Bundesgerichtshof aber nur im Ausnahmefall für zulässig, wenn hierfür eine kriminalpolitische Notwendigkeit besteht.31) Der Tatrichter dürfe die Strafe aus den Gründen der Abschreckung anderer Täter nur dann höher bestimmen, als sie sonst ausgefallen wäre, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Taten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden sei.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass auch nach der herrschenden Vereinigungstheorie präventive Ziele bei der Strafzumessung nur eingeschränkt berücksichtigt werden können. Über das Maß der individuellen Schuld hinausgehende präventive Erwägungen sind nachrangig und dürfen keinesfalls dazu führen, die gerechte Strafe zu überschreiten.32) Das aus gesellschaftlicher Sicht legitime Ziel, einen besonders gefährlichen Täter in sichere Verwahrung zu nehmen, kann nicht durch eine Erhöhung der Strafe erreicht werden. Solche spezialpräventiv veranlassten Rechtsfolgen dürfen allein auf die schuldunabhängigen, in § 61 Nr. 1 bis 3 aufgezählten Maßregeln der Besserung und Sicherung des Angeklagten (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung) gestützt werden und sind damit keine Strafe.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur