Bundeskriminalamt (BKA)

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Prävention als Ziel bei der Strafgesetzgebung

Anders als das Strafgericht bei der Aburteilung eines konkreten Täters hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum, Strafgesetze mit dem vorrangigen Ziel der Prävention von Straftaten zu schaffen. Den Vereinigungstheorien folgend, nach denen das Strafrecht neben der Vergeltung von Straftaten auch der Verhütung von weiteren Straftaten dient, hat der deutsche Gesetzgeber bei der Schaffung von Straftatbeständen von jeher eine Mischung aus vergeltenden und präventiven Überlegungen zugrunde gelegt.33)

Vorverlagerung der Strafbarkeit als Ausnahme

Die präventiven Ziele der Gesetzgebung stehen in einem Spannungsverhältnis mit den Grundsätzen des Tatstrafrechts, mit denen ein reines Gesinnungs- oder Gedankenstrafrecht unvereinbar wäre.34) Das Strafgesetzbuch beruht auf der hergebrachten und weiterhin als Grundsatz zu betrachtenden Konzeption, dass die Planung einer Straftat und sogar deren konkrete Vorbereitung grundsätzlich straflos bleiben, solange die Schwelle zum strafbaren Versuch noch nicht überschritten wird. Zur Verdeutlichung: Die Planung eines Mordes durch einen Einzeltäter und sogar das Beschaffen des Mordwerkzeugs sind noch nicht strafbar. Die Strafbarkeit beginnt erst mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Tat, also bildlich gesprochen, wenn der Täter mit dem Beil ausholt. Andererseits sind dem Strafgesetzbuch Tatbestände, die schon im Vorfeld einer Verletzung individueller Rechtsgüter eingreifen, nicht fremd. Dies wird deutlich, wenn man die konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikte betrachtet. Die konkreten Gefährdungsdelikte erfordern immerhin den Eintritt einer konkreten Gefahr (Beispiel.: Beinahe-Unfall bei § 315c Abs. 1 StGB). Noch weiter von einer tatsächlichen Rechtsgutsverletzung entfernt sind die abstrakten Gefährdungsdelikte. Bei diesen wird bereits eine Handlung wie etwa das Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen pönalisiert, ohne dass es zu einer konkreten Gefährdung oder gar tatsächlichen Verletzung von Rechtsgütern anderer Menschen gekommen ist. Diese Pönalisierung dient – zugleich spezial- wie generalpräventiv – der Verhinderung solcher Rechtsgutsverletzungen, die dann entstehen würden, wenn der Täter im Zustand der Fahruntüchtigkeit einen Unfall verursacht.

Daneben haben weitere Normen des Strafgesetzbuchs eine Vorverlagerung der Strafbarkeit in das Stadium der Deliktsvorbereitung zum Gegenstand, so etwa das Sichverschaffen von Gegenständen zur Fälschung amtlicher Ausweise (§ 275 Abs. 1 StGB) oder zur Herstellung von Sprengstoffen (§ 310 Abs. 1 StGB). Auch ist bereits das Herstellen einer unechten Urkunde strafbar, wenn diese später zur Täuschung im Rechtsverkehr verwendet werden soll (§ 267 Abs. 1 Alt. 1 StGB). Die Pönalisierung dient auch hier der Prävention einer erst noch beabsichtigten eigentlichen Tat. Eine Vorverlagerung strafbaren Verhaltens in das Vorbereitungsstadium nimmt ferner § 30 Abs. 2 StGB (Verbrechensverabredung oder Sichbereiterklären zu einem Verbrechen) vor. Die Legitimation derartiger, zumindest auch präventiven Zwecken dienender Straftatbestände wird von niemandem infrage gestellt. Dass der Staat in modernen Gesellschaften mit ihren multiplen Risiken berechtigt ist, Straftatbestände zu schaffen, die nicht erst den Erfolg von schweren Rechtsgutsverletzungen abwarten, sondern diesen Erfolg bereits in seiner Anbahnungsphase zu verhindern suchen, scheint hierbei ebenso unbedenklich, wie notwendig.35) Schwieriger ist die Frage zu beantworten, welchen verfassungsrechtlichen Grenzen der Gesetzgeber bei der Schaffung von präventiven Straftatbeständen unterliegt.

Maßstab des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht prüft die Verfassungsmäßigkeit von Strafgesetzen vorrangig am Maßstab der Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und – im Falle angedrohter Freiheitsentziehung – der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG).36) Eine Einschränkung dieser Freiheiten durch ein Strafgesetz ist nur zulässig, wenn der Rechtsgüterschutz37) dies unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert. Nach diesem Grundsatz muss ein grundrechtseinschränkendes Strafgesetz geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Übermaßverbot) gebietet, dass bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein muss. Im Bereich des staatlichen Strafens folgt aus dem Schuldprinzip und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen. In diesem Rahmen hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen.

Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lassen sich keine eindeutigen Maßstäbe für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit strafrechtlicher Normen, die präventiv weit im Vorfeld eigentlicher Rechtsgutverletzungen angesiedelte Handlungen pönalisieren, entnehmen.38) Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Rahmen des ihm eingeräumten weiten Beurteilungsspielraums ausdrücklich zugestanden, aus generalpräventiven Gründen zum Schutz gewichtiger Gemeinschaftsgüter die Strafbarkeit von einer konkreten Gefährdung oder gar Verletzung dieser Rechtsgüter in den Bereich von Tathandlungen mit lediglich abstrakter Gefährdung vorzuverlagern.39)

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur