Bundeskriminalamt (BKA)

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Prävention durch Strafrecht1)

Die als gesichert geltende Annahme, dass Strafrecht präventive Wirkung entfalten, also die Begehung von Straftaten verhindern kann, lässt sich aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Der erste Blick gilt der Wirkung von strafrechtlichen Verurteilungen auf den Einzelnen, aber auch auf die Allgemeinheit, und damit der Rechtsanwendung durch die Strafgerichte. Der zweite Blick richtet sich auf die Entwicklung der strafrechtlichen Gesetzgebung, die insbesondere im Bereich des Terrorismusstrafrechts durch eine kontinuierliche Vorverlagerung der Strafbarkeit mit dem Ziel der Prävention gekennzeichnet ist.

Prävention als Strafzweck bei der Strafzumessung

Die Frage, inwieweit präventive Erwägungen bei der konkreten Strafzumessung in einem Urteil berücksichtigt werden können, führt zunächst zu den auf der rechtsphilosophischen Ebene diskutierten Straftheorien.

Die Straftheorien

Die Straftheorien2) betreffen den Zweck von Strafe. Der rechtsphilosophische Streit hierüber wurde insbesondere seit der Aufklärung mit dem Aufkommen der absoluten und relativen Theorien ausgetragen. Die heute fast allgemein anerkannten Vereinigungstheorien versuchen, die verschiedenen Ansätze – teilweise mit unterschiedlicher Gewichtung – zu verbinden.

Die absolute Straftheorie versteht den Strafzweck losgelöst von einer gesellschaftlichen Zielverfolgung als Reaktion auf die konkrete Straftat. Strafe ist die Vergeltung einer schuldhaft begangenen Tat, Genugtuung für die Schädigung der Rechtsordnung und dient der Wiederherstellung der Gerechtigkeit durch schuldausgleich und Sühne, aber keinen Nützlichkeitszwecken.3) Das bereits in der Antike und in der älteren christlichen Ethik vertretene Vergeltungsprinzip („Auge um Auge, Zahn um Zahn“) wurde in der deutschen Rechtstradition wesentlich geprägt durch Immanuel Kant (1724-1804) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831). Für Kant ist das Strafgesetz ein kategorischer Imperativ, das heißt ein von allen Zweck-Erwägungen losgelöstes Gebot der Gerechtigkeit.4) Nach dem Ansatz von Hegel ist das Verbrechen Negation des Rechts und die hierauf verhängte Strafe ist die Negation dieser Negation.5)

Demgegenüber setzen die relativen Straftheorien die gegen den einzelnen Straftäter zu verhängende Strafe in Relation zu den Zielen der Gesellschaft. Strafe hat danach den Zweck der Prävention, also der Verhinderung neuer Straftaten. Nach dem Modell der Spezialprävention soll dies durch Einwirkung auf den Täter selbst erreicht werden. Die Idee der Generalprävention will dagegen durch Einwirkung auf die Allgemeinheit mögliche andere Täter von Straftaten abhalten.

Der vor allem von Franz von Liszt (1851-1919) entwickelte Ansatz der Spezialprävention unterscheidet weiter zwischen den Strafzwecken der Abschreckung des Täters von weiteren Taten und seiner „Unschädlichmachung“ durch Verwahrung (negative Spezialprävention) sowie dem Strafzweck der Besserung des Täters im Hinblick auf seine Resozialisierung (positive Spezialprävention). Auch die Generalprävention wird im Wesentlichen in zwei Varianten vertreten. Eine negative Generalprävention zielt darauf, durch harte Bestrafung des Täters andere abzuschrecken, ebenfalls Straftaten zu begehen.6) Sie findet sich vor allem bei Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775-1833) und gründet auf der Überlegung, dass der potenzielle Straftäter zum Verbrechen hin dränge und ihm die Androhung von Strafe so viel Unlustgefühl vermittele, dass die der Begehung entgegenwirkenden Motive das Übergewicht erlangen und ihn so zur Unterlassung der Tat bewegen könnten.7) Die positive Generalprävention verfolgt mit der Strafe das Ziel, die Rechtstreue der Bevölkerung zu bestärken und die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung zu beweisen. Nach dieser historisch jüngsten Theorie, die auf sozialpsychologische Erkenntnisse von Sigmund Freud (1856-1939)8) zurückgreift und maßgeblich durch Günther Jakobs (geb. 1937) beeinflusst wird, erfolgt Prävention nicht primär durch Abschreckung, sondern durch die Einübung von Rechtstreue. Sie basiert wesentlich auf der Annahme, dass der Bürger Vertrauen in das Recht hat, wenn er sieht, dass es durchgesetzt wird; die Bestrafung des Täters dient der Befriedung und der Stabilisierung von Normerwartungen.9)

Die heute herrschenden Vereinigungstheorien erkennen, wenn auch mit verschieden gesetzten Schwerpunkten, sämtliche Strafzwecke der absoluten und relativen Theorien an und versuchen, diese zu einem ausgewogenen Verhältnis zu verbinden. Wenn es um die Verhinderung von Straftaten geht, stehen Spezial- und Generalprävention nebeneinander.10) Das Strafgesetzbuch ist nicht auf eine Strafzwecktheorie festgelegt, sondern geht selbst von einer Vereinigungstheorie aus.11) Während in § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB die Schuld als grundlegender Bemessungsfaktor für die Strafe genannt wird, was dem Vergeltungsgedanken entspricht, enthält § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB spezialpräventive Kriterien, indem im Rahmen der Strafzumessung auch die Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Täters zu berücksichtigen sind. Die positive spezialpräventive Zielsetzung wird im Resozialisierungsgedanken der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) deutlich. Umgekehrt kann eine ungünstige Sozialprognose der Strafaussetzung zur Bewährung entgegenstehen, was den Strafzweck der negativen Spezialprävention zum Ausdruck bringt. Das Ziel der Generalprävention wird etwa in der Formulierung „zur Verteidigung der Rechtsordnung“ als Voraussetzung für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen (§ 47 Abs. 1 StGB) oder für die Nichtaussetzung zur Bewährung (§ 56 Abs. 3 StGB) aufgegriffen. Der Präventionszweck kommt ferner in zahlreichen materiellen Straftatbeständen zur Umsetzung.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur