Bühne des Kapitels / Moduls
Herausforderungen der (Extremismus-) Präventionsarbeit in Fußballfanszenen
Exkurs 6 Komplementäre gesellschaftliche Handlungsfelder
Inhalt des Kapitels / Moduls
Herausforderungen der (Extremismus-) Präventionsarbeit in Fußballfanszenen
Fußball ist die mit Abstand beliebteste Sportart Deutschlands. Tausende Hobbykicker jagen Wochenende für Wochenende dem Ball hinterher. Millionen Fans verfolgen Spiele der Profis in den zahlreichen Stadien des Landes und vor dem Fernseher. Es verwundert daher nicht, dass Wissenschaftler dem Fußball eine herausragende Relevanz attestieren und ihn häufig sogar als Brennglas gesellschaftlicher Entwicklungen bezeichnen.1)
Unbestritten ist die weit über das Stadion hinaus wirkende Bedeutung der extrem widersprüchlichen Fanszenen. So haben beispielsweise einerseits Ultras der Schickeria aus München die Verdienste des ersten jüdischen Präsidenten Bayern Münchens, Kurt Landauer, auf vielfältige Weise aufgearbeitet und wurden für ihr Engagement gegen Antisemitismus mit dem Julius-Hirsch-Preis des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ausgezeichnet. Andererseits machte die Fangruppe Kaotic Chemnitz im Sommer 2018 nach dem Tod eines 35-Jährigen mobil und organisierte fremdenfeindliche Aufmärsche in Chemnitz, bei denen unter anderem ausländisch aussehende Menschen verfolgt, Hitlergrüße gezeigt und jüdische Geschäfte angegriffen wurden.
In Deutschland gleicht keine Fanszene der anderen. Selbst politische Überzeugungen einzelner aktiver Gruppen können bei unterschiedlichen Vereinen unterschiedlich ausgeprägt sein. So sind die Hooligans von Lokomotive Leipzig etwa dem äußerst rechten Lager zuzuordnen, während sich die Hooligans des Stadtrivalen BSG Chemie Leipzig weit links verorten. Bei vielen Vereinen finden sich sogar sowohl rechte als auch linke Fangruppierungen in den eigenen Reihen. Angesichts dieser Komplexität verwundert es, dass so unterschiedliche Akteure wie Ultras, Hooligans, Hooltras, (rechte) Kampfsportler, Neonazis und kritische Fans sowohl am politischen Stammtisch als auch in den Medien regelmäßig in einen Topf geworfen und unter wissenschaftlich nicht näher definierten Kategorien wie Problemfans oder falschen Fans zusammengefasst werden, um sie von normalen oder richtigen Fans abzugrenzen.
Diese Vereinfachung in „Gut gegen Böse“ ist zwar ebenso falsch wie gefährlich, bedauerlicherweise aber beispielhaft für den Umgang mit Fußballfans, der viel zu lange von Unwissenheit geprägt war und es in Teilen heute noch ist. Die extreme Heterogenität deutscher Fußballfanszenen wird häufig verkannt. Stattdessen wird pauschal zwischen friedlichen Fans auf den Sitzplätzen und Problemfans in den Fankurven unterschieden. Doch selbstverständlich tummeln sich im Stehblock nicht nur Schläger mit Verbindungen ins rechtsextreme Milieu, sondern zum Beispiel auch viele Fans, die sich aktiv gegen Sexismus, Diskriminierung und Antisemitismus engagieren. Und dass das Zünden von Pyrotechnik nicht automatisch mit Gewaltexzessen oder gar extremistischen Einstellungen gleichzusetzen, sondern essenzieller Teil eines (durchaus diskutablen) Selbstverständnisses der Fanszenen ist, ist offenbar bis heute im breiten öffentlichen Diskurs nicht angekommen.
Diese schwer überschaubare Gemengelage stellt die präventive Arbeit mit Fans vor allerlei Herausforderungen, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Nachdem mithilfe der Skizzierung des steinigen Wegs zur Einführung bundesweit etablierter Fanprojekte als zentralem Träger der präventiven Arbeit gegen Extremismus in den Fanszenen grundlegende (größtenteils überwundene) Probleme beschrieben wurden, sollen Erfolge und aktuelle Herausforderungen der Präventionsarbeit mit Fußballfans beleuchtet werden. Schließlich soll dieser Beitrag Vorschläge unterbreiten, die Präventionsarbeit gegen Extremismus in Fußballfanszenen noch effektiver zu gestalten.
Heute gibt es „über die Republik verteilt 59 Fanprojekte mit 66 Fanszenen der ersten Bundesliga bis hinunter in den Amateurfußball“.2) Finanziert werden sie je zur Hälfte von Bundesland und Kommune auf der einen sowie Deutscher Fußball-Liga (Fanprojekte von Erst- und Zweitligisten) beziehungsweise DFB (Fanprojekte von Drittligisten und darunter) auf der anderen Seite. Die Fanprojekte agieren also unabhängig von den Bezugsvereinen. Die Fanbeauftragten, von denen jeder Bundesligist seit der Saison 2011/2012 zwei hauptamtliche beschäftigen und jeder Verein der Dritten Liga mindestens einen ehrenamtlichen bestellten muss, sind beim Verein angestellt.
Zusammen leisten diese beiden Akteursgruppen den Großteil der präventiven Fanarbeit. „Dabei unterscheidet sich die externe sozialpädagogische Fanprojektarbeit wesentlich von der internen Fanbetreuung der Fanbeauftragten. Als Angestellte der Vereine sind Fanbeauftragte zum einen die ‚Stimme der Fans‘ im Verein. Zum anderen müssen sie komplexe Faninteressen mit vielschichtigen, teils sicherheitsrelevanten, teils kommerziellen Interessen des Vereins zusammenbringen. Demgegenüber ist die sozialpädagogisch ausgerichtete Arbeit der Fanprojekte am Fan selbst und seiner Lebenswelt orientiert und zudem schwerpunktmäßig auf die Gruppe der Jugendlichen bis zum 27. Lebensalter konzentriert. Fanbeauftragte sind für alle Mitglieder und Fans des jeweiligen Vereins zuständig“.3)
Schon 1988 unterschied Heitmeyer Fans in die drei noch heute gültigen Hauptkategorien konsumorientiert (sportlicher Erfolg im Mittelpunkt), fußballzentriert (Fußballverein als Lebensmittelpunkt) und erlebnisorientiert (Erlebnis um das Fußballspiel im Mittelpunkt). Anhand dieser Unterscheidung lässt sich die Zielgruppe präventiver Fanarbeit grundlegend darstellen.4) Während konsumorientierte Fans wenig Interesse an den Facetten des Fußballs abseits des eigentlichen Spiels zeigen, hat sich vor allem mit den in den 1990er-Jahren massiv an Bedeutung gewonnenen Ultras eine Mischform fußballzentrierter und erlebnisorientierter Fans gebildet, die vielerorts Hauptzielgruppe der präventiven Arbeit ist. Das diesen Fans innewohnende erlebnisorientierte Potenzial in positive Bahnen zu lenken sowie radikalisierenden Tendenzen vorzubeugen, ist ein wichtiger Aspekt der präventiven Fanarbeit.5)
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Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul
Fussnoten
1)
Vgl. z. B. Pilz 2008.
2)
Koordinationsstelle Fanprojekte 2019.
3)
Koordinationsstelle Fanprojekte 2015, 31.
4)
Sehr viel ausführlicher sind Zielgruppen und theoretische Handlungsansätze der Fanprojekte im Jahresbericht der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) dargestellt (vgl. KOS 2015, 22 ff.).
5)
Gleichwohl ist dies natürlich nicht das einzige Ziel der Arbeit von Fanprojekten. Da dieser Aspekt jedoch im Zentrum des Interesses dieses Buches steht, wird auf eine ausführliche und differenzierte Darstellung der kompletten Arbeit von Fanprojekten und Fanbeauftragten verzichtet. Mehr Informationen dazu liefert zum Beispiel Gabriel 2008.
6)
Laut Rechnungshof Baden-Württemberg sind in der Saison 2012/2013 „für Einsätze der Bundes- und Landespolizei bei Fußballspielen der ersten fünf Ligen unmittelbare Kosten von deutlich über 119 Mio. Euro entstanden“ (Rechnungshof Ba-Wü 2015). Zum Vergleich: Selbst wenn alle Fanprojekte in Deutschland den angestrebten Mindeststandard in Höhe eines Jahresetats von 200.000 Euro erreichen würden (was nicht der Fall ist), läge ihr Gesamtetat noch immer bei 13,2 Millionen Euro.
7)
Vgl. Duben 2015a.
8)
Ebd., 131 ff.
9)
Ebd., 333 ff.
10)
Elemente der Dortmunder Gesamtstrategie und deren ausführliche Darstellungen fnden sich in der lesenswerten Ideensammlung für Vielfalt und Antidiskriminierung in der Fanarbeit von Claus et al. 2016.
11)
Duben 2015b erklärt umfassend, warum der Versuch letztlich gescheitert ist, aber jederzeit mit erfolgreicheren Nachahmern zu rechnen ist.
12)
Vgl. Duben 2015c, 18.
13)
Vgl. Claus 2017, 116 ff.
Literatur
Claus, Robert/Kahrs, Andreas/Lörcher, Daniel (2016): Raus aus dem Abseits. Vielfalt und Antidiskriminierung in der Fanarbeit - Ein Ideenratgeber. Dortmund, BVB und PFiFF ((Pool zur Förderung innovativer Fußball- und Fankultur).
Claus, Robert (2017): Hooligans: Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik. Göttingen, Die Werkstatt.
Duben, Daniel (2015a): Strategien gegen Rechtsextremismus im Fußballstadion. Berlin, Peter Lang GmbH, Internationaler Verlag der Wissenschaften.
Duben, Daniel (2015b): Hooligans gegen Salafisten. Eine explorative Analyse. Herausgegeben vom Bundeskriminalamt Kriminalistisches Institut. Quelle: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/Publikationsreihen/Forschungsergebnisse/2015HooligansGegenSalafisten.html (24.01.2019). Wiesbaden, BKA.
Duben, Daniel (2015c): Nach, HoGeSa ist vor, HoGeSa. In: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 11/2015. Bonn, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn, Seiten 16-19.
Duben, Daniel (2016): Analyse der Notwendigkeit der Einführung einer Antidiskriminierungsstelle auf Verbandsebene. Eine Studie im Auftrag der Abteilung für „Fußball & Fan-Angelegenheiten“ der Deutschen Fußball Liga (DFL). Quelle: https://www.f-potsdam.de/fleadmin/user_dateien/2_studieren-FB_Sozialwiss/FB_Projekte/DEPFiFF/Publikationen/Duben_2016_AnalyseAntidiskriminierungsstelle.pdf. Potsdam, Fachhochschule.
Gabriel, Michael (2008): Eine Fankurve ohne Nazis und Rassisten - Möglichkeiten und Grenzen der sozialpädagogischen Fan-Projekte. In: Glaser, Michaela/Elverich, Gabi (Hrsg.): Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus im Fußball. Erfahrungen und Perspektiven der Prävention. Halle, Deutsches Jugendinstitut, Seiten 35-52.
Heitmeyer, Wilhelm/Peter, Jörg-Ingo (1988): Jugendliche Fußballfans. Soziale und politische Orientierungen, Gesellungsformen, Gewalt. München, Weinheim.
Pilz, Gunter A. (2008): Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung im Fußballumfeld -Herausforderungen für die Prävention. In: Glaser, Michaela/Elverich, Gabi (Hrsg.): Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Fußball. Erfahrungen und Perspektiven der Prävention. Halle, Deutsches Jugendinstitut, Seiten 16-23.
Quellen
Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) (2015): Fanprojekte 2016. Die soziale Arbeit mit Fußballfans in Deutschland. Quelle: https://www.kos-fanprojekte.de/fleadmin/user_upload/material/kos/sachberichte/KOS-sachbericht-2015-v14__2_.pdf (19.01.2019).
Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) (2019): Von Aachen bis Zwickau - die Fanprojekte. Quelle: https://www.kos-fanprojekte.de/index.php?id=die-fanprojekte (22.01.2019).
Rechnungshof Baden-Württemberg (2015): Kostenersatz für Polizeieinsätze bei Fußballspielen und anderen kommerziellen Großereignissen, vom 22.07.2015. Quelle: https://www.rechnungshof.baden-wuerttemberg.de/de/informationen/presse/317788.html (23.01.2019).