Bühne des Kapitels / Moduls
Politische Bildung – extrem
Exkurs 7 Komplementäre gesellschaftliche Handlungsfelder
Inhalt des Kapitels / Moduls
Politische Bildung – extrem
Es wäre eine steile These, zu behaupten, dass politische Bildung Extremismusprävention in Reinform ist. Sie ist problematisch, weil sie die Komplexität der Ursachen individuell-kognitiver Radikalisierung und deren prozesshafte Natur banalisiert und zudem eine stringente Eindeutigkeit der Begrifflichkeiten suggeriert. Richtig hingegen ist die These in ihrer Intention, den Auftrag politischer Bildung, demokratisches Bewusstsein zu festigen und politische Teilhabe zu fördern, als einen Beitrag gesamtgesellschaftlicher Prävention zu begreifen. Somit eröffnet die Eingangsthese ein dichtes Spannungsfeld und kann Ausgangspunkt dafür sein, den Kontext gesellschaftspolitischer Transformationsprozesse näher in den Blick zu nehmen und zu überlegen, welche Rolle politische Bildung in der Extremismusprävention einnehmen kann. Damit einhergehend gilt es darzulegen, welchen Logiken und Ansprüchen die Arbeit der politischen Bildung folgt.
Der grundlegende, wesentliche Referenzrahmen, auf dem Auftrag und Arbeit politischer Bildung basieren und der klar artikuliert, entlang welcher Grenzen das Spektrum an Verschiedenartigkeiten verläuft, die unsere Demokratie aushalten können muss, ist das Grundgesetz. Es bündelt die unverhandelbaren Werte unserer Gesellschaft und sichert ein friedliches und ziviles Miteinander.
Aus sicherheitsrelevanten Gesichtspunkten mag es ein absolut sinnvolles und notwendiges Instrument sein, ideologisch-dogmatische Haltungen sowie daraus motivierte Gewalt zusammenzufassen, damit eine Gleichbehandlung von rechtsstaatlicher Seite ermöglicht werden kann. Aus Warte der politischen Bildung sollte zumindest für zwei Aspekte sensibilisiert werden: Inwiefern gerät der Präventionsgedanke in Reibung mit dem emanzipatorischen Ideal politischer Bildung? Wie finden gesellschaftliche Zusammenhänge und Umwandlungsprozesse Eingang bei der analytischen Fassung extremistischer Phänomene?
Der Begriff Extremismus vereint unterschiedliche Phänomene, bleibt weitgehend deskriptiv und suggeriert – so zumindest eine häufige Kritik – durch den Vergleich miteinander eine Art Gleichsetzung unterschiedlicher Phänomene und Radikalisierungsprozesse. Die Problematik dahinter ist vielschichtig, jedoch möchte ich mich an dieser Stelle auf eine Perspektive konzentrieren, die uns der Rolle politischer Bildung in der Extremismusprävention näher bringt: Wenn wir unterschiedliche Formen des Extremismus bloß als politische Pole verstehen und als Randphänomen kategorisieren, denken wir ihn immer in Abgrenzung zur gesellschaftlichen Mitte. Wenn nun aber extremistische Haltungen und Positionen in eben dieser Mitte zunehmend vertreten werden, verschwimmen die Grenzen und die Vorstellung von Marginalität löst sich auf. Wir müssen Extremismus als ein (vielschichtiges) Phänomen verstehen, vor dem auch die gesellschaftliche Mitte nicht gefeit ist.
Genau diese Herausforderung ist es, der wir uns derzeit stellen müssen: Der autoritär-nationalistische Populismus erstarkt nicht nur in Deutschland, sondern europaweit und global und hat eine Verschiebung des politischen und kulturellen Diskurses nach rechts zum Ziel. Aspekte nationalistischer, rassistischer, chauvinistischer und/oder islamfeindlicher Haltungen finden sich bis weit in die gesellschaftliche Mitte wieder. Einst Unsagbares (oder gar Undenkbares) ist sagbar geworden. Respektvoller Umgang und Ton im Dialog werden als political correctness herabgewürdigt, Emotionen spielen eine wichtige Rolle bei analog sowie digital geführten Debatten. Wolfgang Schröder benennt dies als eine Entwicklung der Repolitisierung entlang von Gefühlslagen einerseits und der Depolitisierung entlang von Sachproblemen auf der anderen Seite. Die Bedeutung von Fakten tritt in den Hintergrund, „gefühlte“ Wahrheiten werden in eigenen Echokammern zur Gewissheit. Es ist ein Transformationsprozess im Gange, der diskursive Grenzverschiebungen mit sich bringt und an dem sich die sozialen, kulturellen und auch ökonomischen Brüche in unserer Gesellschaft zeigen.
Räume öffnen, Teilhabe stärken: Handlungsfelder politischer Bildung
Durch wachsenden Extremismus ist es zu erhöhten Anforderungen an die politische Bildung gekommen, womit eine erforderliche Reflexion und Positionierung der Profession selbst einhergeht. So gilt es zu betonen, dass politischer Bildung ein eigenständiges Bildungs- und Erfahrungsfeld mit einer klaren Gestaltungslogik inhärent ist. Prävention gehört zu den zentralen politisch-pädagogischen und förderpolitischen Begriffen – auch, um eine Stabilisierung der Demokratie zu erreichen. Im Rahmen von Präventionsarbeit werden „Bedarfe“ mit dem Versprechen festgestellt, künftigen Entwicklungen entgegenzuwirken bzw. diese zu vermeiden. Dennoch beinhaltet der Begriff der Prävention auch ein Stigmatisierungspotenzial, da eine Etikettierung bestimmter Teile der Gesellschaft stattfindet und dadurch die Idee der Ermöglichung verhindert wird, indem Türen nicht geöffnet, sondern verschlossen werden. Daher müssen wir in der politischen Bildung dafür arbeiten, ein positives und nicht defizitorientiertes Bild von Zielgruppen aufrecht zu erhalten. Bezogen auf die verschiedenen Phänomenbereiche des Extremismus besteht die Rolle der politischen Bildung darin, die Prozesse und Hintergründe zu analysieren und nach dem Warum zu fragen. Nur so kann es auch funktionieren, dass die Adressatinnen und Adressaten politischer Bildungsangebote nicht als potenzielle Gefährderinnen und Gefährder angesprochen werden, sondern mit der Idee, politische Mündigkeit, Urteils- und Handlungsfähigkeit zu erzeugen.
Die vielfältige Struktur der politischen Bildung in Deutschland in Gestalt von staatlichen wie auch nichtstaatlichen Institutionen, Stiftungen und einer pluralen Trägerlandschaft birgt ein enormes Potenzial, und die Erwartungen sind hoch – gerade in Zeiten von Wandel und Umbruch. Dennoch kann sie nicht alles, was ihr zugetraut wird, und sie kann schon gar nicht mit schnellen Maßnahmen Abhilfe schaffen. So hat politische Bildung nie funktioniert. Vielmehr sind es kontinuierliche Maßnahmen, langfristig angelegte Formate und praxisnahe Umsetzung dort, wo der Alltag von Menschen sich abspielt, die nachhaltig wirken können. Hier kann sie dabei unterstützen, kontroverse Debatten und die Komplexität des Wissens und der Verflechtungen dahinter einzuordnen und zu bewältigen.