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Die Rolle von Moscheegemeinden in der Prävention gegen Radikalisierung junger Musliminnen und Muslime in Deutschland

Moscheen können durch ihr religiöses Angebot viele Musliminnen und Muslime in Deutschland erreichen. Da der Islam allerdings kein Lehramt und keine Kirche kennt, gibt es eine Bandbreite an religiösen Auslegungen des Islams, die in den Moscheegemeinden unterschiedlich vertreten sind. Daher hängt die integrative Rolle der Moscheen von deren religiösen Angeboten ab. Man kann weder pauschal attestieren, dass Moscheen einen Beitrag gegen die Radikalisierung junger Menschen leisten, noch pauschal den Moscheen diese Rolle absprechen. Das Dilemma in Deutschland besteht jedoch darin, dass die meisten großen Moscheegemeinden im Laufe der Zeit politische Strukturen aufgebaut haben und mehr politischen als religiösen Agenden folgen. Dadurch verpassen sie nicht selten den Anschluss an die eigene Basis. Die Ergebnisse empirischer Studien, die zeigen, wie Moscheegemeinden und religiöse Praxis immer unattraktiver für junge Muslime werden, müssten gerade diese Gemeinden zum Umdenken bewegen, und zwar im eigenen Sinne und im Sinne ihrer religiösen Überzeugung. In seiner Studie über türkischstämmige Muslime in Deutschland aus dem Jahr 2016 kommt Detlef Pollack zu dem Ergebnis, dass Angehörige der zweiten und dritten Generation weniger häufig die Moschee besuchen, als die erste Generation (23 vs. 32 Prozent wöchentlich oder öfter) und auch deutlich seltener bekunden, mehrmals am Tag das persönliche Gebet zu verrichten (35 vs. 55 Prozent).1) Gleichzeitig gewinnt die salafistische Szene gerade unter jungen Musliminnen und Muslimen immer mehr an Attraktivität. Es ist nicht ausreichend, sich vom Salafismus und Extremismus zu distanzieren und diese zu verurteilen. Was die Jugendlichen dringend benötigen, sind Gegenangebote zum Fundamentalismus, die mit der Lebenswirklichkeit dieser Jugendlichen harmonieren und sie nicht vor die Wahl stellen, entweder Deutscher oder Muslim zu sein, sondern ihnen die Grundlagen für eine harmonierende mehrdimensionale Identität bietet: sowohl Deutscher als auch Muslim.

Bevor ich auf die Frage eingehe, wie so ein integratives religiöses Angebot aussehen kann, schauen wir uns kurz die wichtigsten Eckdaten im Zusammenhang mit den Musliminnen und Muslimen sowie den Moscheegemeinden in Deutschland an.

Musliminnen und Muslime in Deutschland – Daten und Fakten

Die genaue Zahl der Musliminnen und Muslime in Deutschland ist schwer zu bestimmen, da die Religionszugehörigkeit in Deutschland in der Regel nicht erfasst wird. Laut der Hochrechnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lebten Ende 2015 rund 4,4 bis 4,7 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland (5,4 bis 5,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung).2) Nach Einschätzung des Pew Research Center in Washington lebten 2016 ca. 4,95 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland (6,1 Prozent an der Gesamtbevölkerung).3) Neuere Daten liegen bisher noch nicht vor, aber laut Schätzungen basierend auf den Herkunftsländern der nach Deutschland Geflüchteten bzw. laut Umfragedaten, welche im Registrierungsprozess gewonnen wurden, lässt sich ableiten, dass die Zahl der Musliminnen und Muslime um etwa 800.000 nach oben korrigiert werden muss. Wobei auch hier darauf zu achten ist, dass es sich bei Einwanderern aus muslimisch geprägten Ländern nicht immer um Musliminnen und Muslime handelt, sondern um eine sehr heterogene Gruppe.

Rund 45 Prozent der in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime sind deutsche Staatsangehörige, rund 55 Prozent verfügen über eine ausländische Nationalität. Eine Schätzung des BAMF aus dem Jahr 2016 zeigt, dass es sich bei den Musliminnen und Muslimen in Deutschland um eine sehr heterogene Bevölkerungsgruppe handelt. Demnach hatten rund 2,3 Millionen und damit rund die Hälfte (51 Prozent) ihre Wurzeln in der Türkei. Zum Vergleich: 2011 lag ihr Anteil noch bei 67,5 Prozent. Musliminnen und Muslime aus dem Nahen Osten stellen mit geschätzten 775.000 Personen die zweitgrößte Herkunftsgruppe (17 Prozent). Diese Zahl wuchs hauptsächlich durch die zugeflüchteten Personen. An dritter Stelle folgen rund 520.000 Musliminnen und Muslime aus südosteuropäischen Herkunftsländern (11 Prozent), hauptsächlich aus Bosnien, Bulgarien und Albanien. Aus Nordafrika kommen zwischen 259.000 und 302.000 der in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime, mehrheitlich aus Marokko. Der Rest stammt aus Zentralasien/GUS, Iran, Süd-/Südostasien und dem sonstigen Afrika.4)

Die Mehrheit der Musliminnen und Muslime in Deutschland gehört dem sunnitischen Islam an. Ihr Anteil beträgt ca. 74 Prozent. Die zweitgrößte muslimische Glaubensgruppe ist die der Aleviten, deren Anteil bei 13 Prozent liegt. Es folgen die Schiiten mit einem Anteil von sieben Prozent. Neben diesen Glaubensgruppen leben kleine muslimische Gruppen wie Angehörige der Ahmadiyya-Gemeinde, die Sufis/Mystiker bzw. die Ibaditen und andere nicht näher spezifizierte islamische Konfessionen.5)

Die umfassende Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz ergab im Jahr 2009, dass die Mehrheit der Musliminnen und Muslime gläubig ist: 36 Prozent schätzen sich selbst als stark gläubig ein, weitere 50 Prozent geben an, eher gläubig zu sein. Religiosität ist insbesondere bei türkischstämmigen Musliminnen und Muslimen und afrikanischer Herkunft ausgeprägt. Dagegen ist sie bei iranischstämmigen Musliminnen und Muslimen, fast ausschließlich Schiiten, eher gering: Nur zehn Prozent sehen sich als sehr stark gläubig und etwa ein Drittel als gar nicht gläubig. Muslimische Frauen sind in fast allen Herkunftsgruppen tendenziell gläubiger als Männer. Insgesamt sind ca. 20 Prozent der Musliminnen und Muslime in religiösen Vereinen oder Gemeinden organisiert.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen