Bundeskriminalamt (BKA)

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4. Das Liebesethos als Friedenspotenzial stärken

Der Islam, wie auch das Christentum und das Judentum, besitzt ein religiöses Ethos als moralischen Universalismus. Damit meine ich keineswegs ein Weltethos, das Religionen ersetzen soll, sondern ein religiöses Ethos, das alle Menschen, egal welchem Glauben bzw. welcher Weltanschauung sie angehören mögen, erfasst.

Gerade das Liebesethos der drei monotheistischen Religionen geht über das Gerechtigkeitsethos hinaus. Es geht um Nächstenliebe. Liebe schließt nicht die Gerechtigkeit aus, sondern geht über sie hinaus. Gerade Musliminnen und Muslime sollten heute für eine Koalition der verschiedenen religiösen wie nichtreligiösen moralischen Universalien eintreten. Der Koran beschreibt die Gott-Mensch-Beziehung als Liebesbeziehung, die allerdings durch das Handeln des Menschen bezeugt werden will: „Gott erschafft Menschen, die er liebt und die ihn lieben“ (Koran 5:54). Gerade ein Bündnis von Universalisten gegen Partikularisten (religiöse Exklusivisten, Nationalisten, Rassisten usw.) ist heute gefragter als je zuvor. Religiöse Menschen sind heute herausgefordert, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie die Liebeskräfte in ihnen freisetzen können. Die islamische Vorstellung vom Menschen als Medium der Verwirklichung von Gottes Liebe und Barmherzigkeit stellt den Inbegriff und zugleich den Maßstab von Religiosität dar und betont die Verantwortlichkeit des Gläubigen für den friedlichen Zusammenhalt seiner Gesellschaft.

5. Die Notwendigkeit der Trennung von religiösen und politischen Institutionen als Schutz der Religion vor Instrumentalisierung durch die Politik und als Schutz der Politik vor Instrumentalisierung durch die Religion

Die Säkularität, wie sie in Westeuropa verstanden und praktiziert wird, bedeutet, dass es keine Staatsreligion geben darf. Diese Form der Säkularität will sowohl den Staat vor religiösen Machtansprüchen als auch Religionen vor politischer Instrumentalisierung schützen und ist daher als Basis für die religiöse Neutralität des Staates zu verstehen. In einem säkularen Staat wird niemand zu einem Glauben gezwungen. Gleichzeitig wird die religiöse Gemeinde vor staatlichen Eingriffen geschützt und der Staat verzichtet auf die Favorisierung einer spezifischen religiösen oder säkularen Weltsicht.15)

Jürgen Habermas hat nach dem 11. September 2001 in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels geäußert, auch wer nicht religiös sei, sollte die Kraft, die aus den religiösen Quellen kommen kann, nicht verleugnen. Habermas möchte den religiösen Gemeinschaften in der postsäkularen Gesellschaft einen Platz in der Öffentlichkeit einräumen, weil er der Überzeugung ist, dass Menschen Wertebindungen brauchen, und er befürchtet in einer Gesellschaft ohne Religion ein Wertevakuum.16) „Werte fallen nicht vom Himmel“, betont auch Clemens Sedmak17) und verweist auf die besondere Bindekraft religiöser Orientierungen. Daher bedeutet die Trennung von Politik und Staat keineswegs, dass religiöse Werte, wie Nächstenliebe, Gerechtigkeit, soziale Solidarität usw. keine Rolle mehr im öffentlichen Diskurs spielen dürfen, sondern dass Religionen keine Machtansprüche für sich stellen dürfen (Stichwort Scharia als Gesetz Gottes statt der geltenden Gesetze des Rechtsstaats). 

6. Einstehen für Werte der Freiheit, Gleichheit und Solidarität

Gerade moderne plurale Gesellschaften benötigen ein hohes Maß an Partizipation und Teilhabe ihrer Bürgerinnen und Bürger, wenn sie funktionieren sollen. Gerade demokratische Staaten sind stärker auf eine eigene politische Identität angewiesen als despotisch oder autoritär regierte Gesellschaften,18) denen wir in vielen islamischen Ländern begegnen. Was hält aber unsere europäische Gesellschaft zusammen? Gibt es eine Wertebasis Europas, die auch für Musliminnen und Muslime gilt?

Drei zentrale Werte der Französischen Revolution sind für ein friedliches und konstruktives Zusammenleben unentbehrlich: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Josef Freise interpretiert sie für uns heute als Verbundenheit, Solidarität und „compassion“.19) Auch wenn diese Werte zumeist als säkulare und „religionsfreie“ Werte verstanden werden, muss jeder diese mit der eigenen religiösen oder nichtreligiösen Tradition verbinden. Werte müssen zur gelebten Lebenswirklichkeit werden, damit sie keine leeren Parolen bleiben. 

Freiheit bezieht sich auf viele Dimensionen, dazu gehören: die freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, die Freiheit, sich zu organisieren und die Wahlfreiheit. „So gibt es keinen Zwang zu einer ganz bestimmten normierten Lebensweise. Der Amsterdamer Vertrag hat beispielsweise die homosexuelle Lebensgemeinschaft der heterosexuellen Lebensgemeinschaft mit Blick darauf gleichgestellt, dass es keine Diskriminierung geben darf. Homosexuelle Lebensweisen werden von offiziellen Vertretern der monotheistischen Religionen noch weithin abgelehnt, aber innerhalb der Religionsgemeinschaften gibt es intensive Diskussionen und Neuorientierungen dazu. Hier zeigt sich, dass religiöse Menschen und Gruppen sich dem Diskurs mit Gruppen nichtreligiöser Orientierung geöffnet haben und ihre eigenen religiösen Traditionen neu interpretieren.“20) Zur Freiheit gehört aber auch, dass Werte nicht von „oben“ aufgezwungen, sondern von den Subjekten selbst angeeignet werden. Dazu braucht es entsprechende Sensibilisierung der Subjekte, die ihre eigenen Erfahrungen machen müssen, um sich Werte in Freiheit aus Überzeugung zu verinnerlichen.

Religionsfreiheit ist eine weitere Dimension der Freiheit, die vor jeglichem Zwang in religiösen Fragen schützen soll. Dazu gehören sowohl die aktive als auch die passive Religionsfreiheit. Das heißt, dass alle Menschen das Recht haben, ihren religiösen Überzeugungen gemäß zu leben und zu handeln, solange sie nicht in Konflikt mit dem Grundgesetz bzw. mit den demokratischen Grundwerten geraten. Alle Menschen haben aber auch das Recht darauf, keiner Religion anzugehören. In Europa gibt es eine symmetrische Anerkennung religiöser Minderheiten und Mehrheiten.21)

Solidarität in einer Gesellschaft setzt voraus, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger in dieser Gesellschaft auf Augenhöhe begegnen und dass der „Andere“ in seiner Andersheit anerkannt wird. 

Hans Joas unterstreicht, dass überall da, wo Menschen das Wohlergehen ihrer Person und ihrer Gruppe auf Kosten anderer durchsetzen wollen, wo Menschen diskriminiert und ausgegrenzt werden, um eigene Privilegien zu schützen, es einen Werteverfall gibt und Werte von Gleichheit und Gerechtigkeit verfallen.22)

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen