Bundeskriminalamt (BKA)

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Digitale Gewalt

Trotzdem bleibt ein Problem, für das es bisher nicht wirklich eine Lösung gibt. Leider betrifft es ausgerechnet die Menschen, die das Internet als Meinungsbildungsraum nutzen. Wer sich in sozialen Netzwerken zu politischen Themen äußert oder sich für eine demokratische Debattenkultur eintritt, macht oft schnell die Erfahrung, dass er oder sie dadurch zum Ziel rechtsradikaler und antidemokratischer Hassrede wird. Erhebungen zeigen dabei, dass 75 Prozent aller Hasspostings in Sozialen Netzwerken durch Rechtsradikale und Rassistinnen oder Rassisten verbreitet werden9) – das heißt, natürlich gibt es Hassrede und digitale Gewalt auch aus anderen gesellschaftlichen Spektren, doch die meisten digitalen Angriffe aus Gründen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit kommen aus einer rechtsradikalen Ideologie. Deren Anhängerinnen und Anhänger sind nicht am demokratischen Meinungsaustausch interessiert, sondern wollen vor allem ihr Gegenüber angreifen, herabwürdigen und am liebsten mundtot machen und aus dem Diskurs drängen („Silencing“).

Dabei ist jedes Mittel recht: Wenn wir von digitaler Gewalt sprechen, meint dies nicht bloß aggressiv vorgetragene Abwertungen wegen Gruppenzugehörigkeiten (etwa als Frau, Muslimin oder Muslim, Demokratin bzw. Demokrat, Migrantin oder Migrant sowie Jüdin oder Jude). Es meint auch Datendiebstahl und anschließendes Doxing, also das Veröffentlichen von persönlichen Daten im Internet wie Wohnort oder Kitaplatz des Kindes, mit der Aufforderung zu „Hausbesuchen“ oder „hier kann man warten und seine Kritik mal persönlich loswerden“. Dies schafft für die betroffenen Personen eine massive Bedrohung im Offline-Leben, eine Einschränkung ihres Handlungsspielraums und macht schlimmstenfalls sogar einen Umzug nötig. Zur digitalen Gewalt gehört auch der Identitätsdiebstahl durch den Aufbau von gefälschten Social Media-Profilen mit Bild und Namen einer realen Person, mit deren Identität dann diskreditierender Unsinn verbreitet wird – also etwa rassistische Postings von einem Menschen, der eigentlich antirassistisch engagiert ist, was unter seinen Freunden und Kollegen zu massiven Irritationen führt. Auch verleumderische, erlogene YouTube-Videos oder Beiträge in sogenannten „rechtsalternativen“ „Medien“ können diesen Effekt erzeugen. Organisierte Kampagnen von verleumderischen Hasspostings an Arbeit- und Fördermittelgeberinnen und -geber sowie Geschäftspartnerinnen und -partner gehören ebenfalls zum Repertoire: „Sie beschäftigen aggressive Linksextreme, ist das die politische Haltung ihrer Firma?“, „Die Buchhaltung wird hier nicht sauber geführt und Spenden werden veruntreut“ – alles widerlegbar, aber die Beweislast liegt bei den Beschuldigten und bindet viel Energie. Schlimmstenfalls finden rechtsalternative Internet-Falscherzählungen sogar ihren Weg in breitenwirksame journalistische Medien, was die Delegitimierung der Betroffenen verstärkt. Feministin und Autorin Jasna Strick, eine der Initiatorinnen des Hashtags #aufschrei gegen sexualisierte Gewalt, beschrieb dieses Erleben eindringlich in einem Vortrag: „Es ging ums Anschwärzen, schau mal, was die schreibt. Es ging darum, dass wir Jobs verlieren, Freundinnen verlieren, nicht mehr öffentlich sprechen dürfen.“10)

Folgen digitaler Gewalt

Digitale Gewalt bleibt also in den seltensten Fällen im digitalen Raum, sondern hat auch ganz konkrete Folgen und Einschränkungen in der Offline-Welt. Für die Betroffenen können diese Folgen tiefgreifend sein, bis zur Veränderung der Persönlichkeit, Verbitterung, zu Suchtverhalten, sozialem Rückzug, körperlichen Erkrankungen, psychischen Störungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken.

Es ist sinnvoll, diese starke Belastung im Hinterkopf zu haben, wenn Betroffene digitaler Gewalt Hilfe suchen, auch bei der Polizei. Bisher hören sie oft den auf Hilflosigkeit basierenden Ratschlag, doch einfach „nicht mehr ins Internet“ zu schauen. Doch zum einen verschwindet die Diskreditierung dadurch natürlich nicht, und zum anderen erreichen die Angreifenden damit ihr Ziel, der betroffenen Person ihren digitalen Lebensraum zu nehmen und ihre Meinung aus dem Diskurs zu drängen – dies zu verhindern, sollte eine gemeinsame Anstrengung sein.

Welche konkreten Hilfemöglichkeiten gibt es für Betroffene?

Wenn von Online-Hass Betroffene zur Polizei kommen, um Straftaten anzuzeigen, ist das eine Form der Bewältigung des Erlebten und ihr Recht als diejenigen, die Opfer einer Straftat geworden sind. Die Verfolgung dieser Straftaten ist wichtig, allerdings oft langwierig, da die Verfahren um Auskunftsersuche immer noch sehr umständlich und zeitintensiv sind. Für die Opfer digitaler Gewalt ist es allerdings zentral, dass die diskreditierenden Inhalte schnellstmöglich aus dem Internet verschwinden. Die schlechte Nachricht ist: Dafür gibt es bis heute keine Anlaufstellen. Es gibt sie weder von staatlicher Seite, die dies unter Verbraucherschutz-Aspekten angehen könnte, noch werden Anlaufstellen von den Betreibern Sozialer Netzwerke selbst angeboten, die zwar Kommunikationsnetzwerke sind, aber ihren Nutzerinnen und Nutzern bis dato keine direkten Kontaktmöglichkeiten anbieten – obwohl diese auf den Plattformen auf vielfältige Weise in Bedrängnis geraten können. Dies ist umso absurder, da jeder Online-Shop in der Lage ist, eine 24-Stunden-Chat-Betreuung für Nutzende anzubieten. In Sozialen Netzwerken gibt es lediglich die Melde-Funktion, die aber keine Erläuterungen zulässt und daher oft ins Leere läuft, wenn etwa Falschinformationen in vermeintlich freundlichem Ton vorgetragen werden.

In der Zivilgesellschaft gibt es Beratungsstellen etwa für Opfer rechtsextremer oder homo- und transfeindlicher Gewalt, Antidiskriminierungsbüros und Gleichstellungsbeauftragte – und wenn die Geschädigten Glück im Unglück haben, treffen sie auf einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin, die sich schon einmal mit digitaler Gewalt auseinandergesetzt hat und eine Idee entwickeln kann, was helfen könnte. Bei den meisten ist dies allerdings nicht der Fall, da sie schon mit der Beratung von Gewaltvorfällen in der Offline-Welt komplett ausgelastet sind. Konzepte für eine solche Beratungsstelle für Opfer digitaler Gewalt gibt es einige – auch von der Amadeu Antonio Stiftung – eine Förderung allerdings bisher nicht. Und so geschieht wichtige Vermittlungsarbeit, die Opfern digitaler Gewalt konkret hilft, bisher maximal nebenbei und nur für diejenigen, die das Glück haben, auf die passenden Ansprechpersonen zu treffen.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen