Bundeskriminalamt (BKA)

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Ethische Dilemmata in der Extremismusprävention – Co-Terrorismus, theoretische Notizen und praktische Ansätze

Einleitung - Worum es gehen soll

National und international wird der Ruf nach präventiven Ansätzen bei der Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus lauter. Dies hat im Wesentlichen zwei Ursachen. Zum einen wird zunehmend offensichtlich, dass vorrangig auf Repression ausgerichtete Bekämpfungskonzepte nur bedingt erfolgreich sind. Zum anderen ist eine Forderung nach Prävention über die Grenzen unterschiedlicher politischer Lager hinweg weitgehend konsensfähig, und zwar im Allgemeinen unabhängig davon, welches Problem es gerade gilt, aus der Welt zu schaffen. Dieser Konsens speist sich aus der allgemeinen Überzeugung, dass Prävention ja nicht schaden kann.

Der lauter werdende Ruf nach Prävention steht allerdings in krassem Missverhältnis zu zwei prekären Umständen, die nicht nur das Risiko in sich bergen, dass die umgesetzten Präventionsmaßnahmen nicht nur nicht wirksam sind, sondern – schlimmer noch – gar Gefahr laufen, kontraproduktiv zu wirken und im schlimmsten Falle das Problem eher vergrößern, als es zu lösen. Erstens besteht im Bereich der Evaluation weiterhin ein enormes Wissensdefizit zur Reichweite, Effektivität und Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen in diesem Handlungsfeld. Der trotz aller zwischenzeitlicher Bemühungen weiterhin bestehende Mangel an Evaluation ist unmittelbarer Ausdruck eines mangelnden Bewusstseins dafür, dass Prävention auch schädlich sein kann. Hiermit ist zugleich der zweite Umstand angesprochen, der im Missverhältnis zu den erstarkten Forderungen nach und Bemühungen um Prävention steht. Extremismusprävention ist ein höchst komplexes gesellschaftliches Handlungsfeld mit zahlreichen indirekt beteiligten Einrichtungen und Institutionen. Und teils stehen die präventiven Zugänge in ‚Konkurrenz‘ zu repressiven Ansätzen, ohne dass nähere Erkenntnisse dazu vorliegen, wie sich die z. T. parallel durchgeführten Maßnahmen wechselseitig beeinflussen. Gleichzeitig besteht angesichts des beachtlichen Aufkommens extremistisch motivierter Kriminalität und Gewalt in den diversen Phänomenbereichen (siehe Kap. 2) enormer – auch und gerade präventiver – Handlungsdruck: Es gilt, weitere extremistische Gewalt zu verhindern. Und es kann nicht gewartet werden, bis wir ein vollständig abgesichertes Wissen in Händen halten, welches uns eine einhundertprozentige Kontrolle über die potenziellen Risiken unseres präventiven Handelns ermöglicht.

Vorstehend ist die Ausgangssituation umrissen, die ethische Fragen bei der Gestaltung von Extremismusprävention aufwirft, welche wir hier aufgreifen wollen. Entsprechend einer allgemeinen Definition von Ethik1) geht es darum, stets kritisch zu reflektieren, wie wir – zumindest weitgehend – sicherstellen können, dass wir nicht ‚naiv‘ zur Tat schreiten und unser praktisches Handeln so weit wie möglich unseren Zielen und Absichten entsprechend ausrichten, wie sie dem vorliegenden Handbuch unterlegt sind: Es geht um die Verhinderung von extremistischer/terroristischer Gewalt und die Förderung eines auf Toleranz und Pluralität von Lebensentwürfen setzenden freiheitlich-rechtsstaatlich verfassten Gesellschaftssystems. Hiermit sind die Leitpfosten, die moralischen Handlungsstandards einer ethisch verantwortlich konzipierten Extremismusprävention angesprochen.

Wir wollen den ethischen Fragen und Herausforderungen in der Extremismusprävention in zwei Schritten nachgehen. In einem ersten, eher theoriegeleiteten Schritt soll aufbauend auf der Co-Terrorismus-These2) näher für die möglichen Fallstricke von Prävention sensibilisiert werden, indem einige ethische Dilemmata skizziert werden sollen, auf die wir unweigerlich und mehr oder weniger offensichtlich in diesem Handlungsfeld stoßen. Darauf aufbauend soll in einem zweiten, eher praxisorientierten Schritt aufgezeigt werden, welche gangbaren Wege sich anbieten, den potenziellen Fallstricken ‚präventiv‘ zu begegnen.3)

Immer dann, wenn unser Bemühen um Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus Gefahr läuft, unsere selbstgesetzten moralischen und normativen Standards zu unterlaufen, agieren wir in einer Art und Weise, die als Co-Terrorismus bzw. Co-Extremismus bezeichnet werden kann.

Wiederabdruck mit Erlaubnis des Ottawa Citizen Wiederabdruck mit Erlaubnis des Ottawa Citizen
Wiederabdruck mit Erlaubnis des Ottawa Citizen

Nebenstehende Karikatur visualisiert in gewisser Weise den Begriff vom Co-Terrorismus/-Extremismus. Die zentrale Ausgangsfrage bei der Konzeption von Präventionsmaßnahmen lautet stets, ob wir an die relevanten, zu priorisierenden Ursachen und Erscheinungen der im Präventionsfokus stehenden Verhaltensweisen anknüpfen. Häufig ist unser Handeln in diesem hoch politisierten Handlungsfeld von öffentlich-medialem Druck getrieben. Dieser lässt uns in der Regel kaum Zeit, unsere Maßnahmen sorgfältig zu planen. Insbesondere im Falle neuer Erscheinungsformen von Extremismus, von ideologisch motivierter Gewalt kann häufig auf empirisch abgesichertes Wissen nicht zurückgegriffen werden. Wir sind mitunter genötigt, auf Plausibilitätsannahmen zurückzugreifen. Wenn in einer solchen Situation dann dass Handeln in erster Linie von der weit geteilten Überzeugung getrieben ist, dass es besser ist, überhaupt etwas als nichts zu tun, sind dem Risiko möglicher kontraproduktiver Effekte unseres Handelns Tür und Tor geöffnet.4) Unter derartigen Ausgangsbedingungen ist es schwer, eine kritisch-reflexive Haltung bzw. Distanz bei der Konzeption von Präventionsmaßnahmen zu wahren: Was sich im Hinblick auf einen bestimmten Gesellschaftsbereich, eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe als geeignete Maßnahme erwiesen hat, kann in anderen Anwendungsfeldern ggf. genau den gegenteiligen Effekt bewirken. Dies ist die zentrale Ausgangsüberlegung der Definition von Co-Terrorismus/-Extremismus.

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

Quellen

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