Bundeskriminalamt (BKA)

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Kommentar zur Einleitung zu den Exkursen "Komplementäre gesellschaftliche Handlungsfelder"

Gesamtgesellschaftliche Extremismusprävention – einleitende Randnotizen und unbequeme Fragen

Spätestens mit dem Wirken der vom Bundesinnenministerium in 2005 eingerichteten Bund-Länder-Expertengruppe „Prävention islamistischer Extremismus/Terrorismus“ (PisET, s. a. Einleitung zu Teil 2 des Buches) wurde der Ruf zunehmend lauter, Extremismusprävention als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen. Heute kann dies als ein, wenn auch nicht immer erkennbarer und gelebter, (sicherheits-)politischer Konsens begriffen werden. Aber was soll gesamtgesellschaftliche Extremismusprävention genau bedeuten, was ist gemeint?

In den Kapiteln 1 bis 7 ist der Versuch unternommen worden, nicht nur das Phänomen Extremismus unter Berücksichtigung theoretischer Grundlagen (Kap. 1) in seiner Vielgestaltigkeit zu beschreiben (Kap. 2) und – zumindest ansatzweise – hinsichtlich seiner mikro- sowie makrosozialen Entstehungsbedingungen zu erklären (Kap. 3). Vielmehr wurde auch versucht, das Arbeitsfeld der Extremismusprävention – u. a. anhand konkreter Beispiele – näher vorzustellen (Kap. 5 und 6), wobei dem Aspekt der Evaluation besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde (Kap. 4) und abschließend eine „Erstvermessung“ der Präventionslandschaft vorgenommen wurde (Kap. 7), die künftig fortgeschrieben werden soll. Aber ist damit das Feld der Extremismusprävention hinreichend erfasst? Nein.

Bisher haben wir uns auf die vielfältigen ressortübergreifend initiierten und finanzierten Bemühungen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene fokussiert, die sich explizit (auch) als Maßnahmen in diesem Präventionsfeld begreifen. Es hierbei zu belassen, wäre aber in zweifacher Hinsicht unzureichend und letztlich oberflächlich. Zum einen bestünde die Gefahr, so von den eigentlich zugrunde liegenden gesellschaftlichen Ursachen abzulenken, worauf zurückzukommen ist. Zum anderen, und mit den gesellschaftlichen Ursachen bzw. mit den dem Extremismus zugrunde liegenden Konflikten zusammenhängend, nehmen letztlich alle Gesellschaftsbereiche Einfluss auf die Entwicklungsdynamik von extremistisch-terroristischen Bewegungen. Der Einfluss dürfte bisweilen höher sein als derjenige eines Großteils der expliziten Extremismuspräventionsangebote. Hierfür soll dieses abschließende und doch offene Kapitel sensibilisieren, indem schlaglichtartig einzelne Gesellschaftsbereiche und Handlungsaspekte beleuchtet werden, die beispielhaft illustrieren sollen, dass Extremismusprävention sehr weit zu denken ist. Denn sie berührt letztlich die Kernfrage des gesellschaftlichen Friedens, der letztlich grenzenlos und übergreifend zu denken ist: Um den gesellschaftlichen Frieden sicher zu stellen, gilt es, die vielfältigen Interessen, Wünsche und Hoffnungen aller Gesellschaftsmitglieder in einer Weise aufeinander abzustimmen, dass die unveräußerlichen Menschenrechte und unsere darauf aufsetzenden grundgesetzlich verankerten Spielregeln des gesellschaftlichen Miteinanders nicht verletzt, sondern im Kern respektiert werden.

Das Kapitel ist abschließend, weil es am Ende dieses Handbuchs steht, nicht aber, weil es den Anspruch erheben könnte, das Feld der Extremismusprävention damit abschließend beschrieben zu haben. Eben deshalb ist das Kapitel offen – offen für Anregungen und Ergänzungen: Wir laden dazu ein, es anzureichern, zunächst auf der Internetseite zum vorliegenden Handbuch (www.handbuch-extremismuspraevention.de) und dann künftig in einer Neuauflage des Handbuchs.

Wir möchten im Folgenden noch einmal herausstellen (s. a. Kap. 3), dass es verkürzt wäre, Extremismus nur über die ideologischen Grundlegungen der differenten Extremismen und über die Einstellungen und Handlungen der extremistischen Akteure begreifen zu wollen. Und wir möchten dafür sensibilisieren, dass wir alle mehr oder weniger stark in unseren beruflichen (etwa als Lehrende, als Journalistin und Journalist, als Richterin oder Richter sowie als Polizistin bzw. Polizist) und privaten (etwa als Bekannte oder Bekannter eines Sympathisierenden terroristischer Gruppierungen, als Fußballfan, als Mitglied eines Stammtisches, als Nutzerin oder Nutzer sozialer Medien) Bezügen Einfluss auf das Radikalisierungsgeschehen und auf die unterschiedlichen Extremismen in unserer Gesellschaft nehmen. Doch der Reihe nach.

In den folgenden Abschnitten sollen einige kritische Fragen gestellt und Überlegungen angestrengt werden, um die Neugierde auf die Beiträge dieses Kapitels zu steigern. All dies geschieht im Bewusstsein, dass wir allenfalls begonnen haben, Extremismus und damit auch dessen Prävention ansatzweise zu begreifen, geschweige denn, ihn hinsichtlich der vielfältigen gesellschaftlichen und individuellen Wechselwirkungsbezüge wirklich zu verstehen.

Gleichwohl und gerade deshalb wollen wir in diesem Kapitel beispielhaft ein paar konkrete Schlaglichter auf einige Handlungsfelder und Handlungsaspekte einer gesamtgesellschaftlich zu verstehenden Extremismusprävention werfen. Es geht uns – wie gesagt – darum, zu verdeutlichen, dass über die sich explizit als Beitrag zu einer Extremismusprävention verstehenden Angebote hinausgehend letztlich alle Gesellschaftsbereiche unweigerlich Einfluss auf das Radikalisierungsgeschehen in Richtung von Extremismus und Terrorismus nehmen. Dies ergibt sich aus der engen Verzahnung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Lebensbereiche und Systemebenen (s. Kap. 1 – Settingstruktur …).