Bundeskriminalamt (BKA)

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Seit dem 11. September 2001 gibt es bundesweit immer wieder radikalisierte Einzelfälle. In Wolfsburg gab es eine Verbindung zur Sauerland-Gruppe (2007 schmuggelte ein Jugendlicher Sprengstoffzünder für die deutsche Terror-Zelle). Wir haben das Thema seitdem verfolgt, ohne dass wir ein spezielles Wolfsburger Problem wahrgenommen haben. Den betroffenen Familien war vermutlich die örtliche Szene längere Zeit vor uns bekannt. Aber bei der Kommune hatte sich niemand gemeldet. Die Gründe dafür sind vermutlich vielfältig und reichen von Scham, mangelndem Vertrauen in Institutionen bis hin zu der Frage, wohin sie sich wenden sollten. Es ist zu vermuten, dass es Kontakte zur Polizei, zum Staatsschutz und zum Verfassungsschutz gab, allerdings existierte zu diesem Zeitpunkt weder in Niedersachsen noch in Wolfsburg eine Anlaufstelle für Betroffene oder Angehörige. Die Situation in Wolfsburg wurde der Kommune dann durch eine Kette von Zufällen vor der örtlichen Berichterstattung bekannt.

Wir sind als Kommune auf Polizei, Staatsschutz und Verfassungsschutz zugegangen, um einerseits im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten Informationen auszutauschen, und zum anderen eine erste Idee für eine Präventions- und vor allem Netzwerkstrategie zu entwickeln.

Kurze Zeit später wurde öffentlich, dass 2013/2014 ca. 20 Personen aus Wolfsburg nach Syrien ausgereist sind.

Heute wissen wir, dass die Radikalisierung über einen Anwerber eine Szene erreichte, die sich seit frühester Jugend kannte und über diese Beziehungsebene für die Ideen empfänglich war. Hier wird die starke Bedeutung von Peergroups deutlich. Der Anwerber und diejenigen, die zum Teil schon ausgereist waren, konnten offenbar einfache Antworten geben und dem Gefühl der Ohnmacht und Ablehnung Anerkennung, Zugehörigkeit, Macht und Geld entgegensetzen. Veranstaltungen in angrenzenden Gebietskörperschaften durch „Idole“ wie Denis Cuspert und andere haben vermutlich zu einer Verstärkung und Festigung der Gruppe geführt. Inwieweit das Internet darüber hinaus eine Rolle gespielt hat, kann nur vermutet werden. Mit Sicherheit wurde darüber kommuniziert und eine „Welt“ geschildert, die alles versprach, über Filme wurden Bilder vermittelt, die den jungen Männern die Versprechungen machten, ihre jetzige Situation monetär verändern zu können, ihnen Bedeutung und Geltung zu verschaffen. Sie entwickelten das Gefühl, sie würden dort gebraucht, kämpften für eine heilige Sache, sie seien das Gute, alle anderen die Ungläubigen, die Bösen.

Im Dialog mit den Glaubensgemeinschaften stellten wir sowohl unklares, wie auch unsicheres Verhalten im Umgang mit diesen Gruppen, die dort bekannt waren, fest. Ausgrenzung aus Sorge vor öffentlichen Repressalien war genauso zu finden wie indifferente Duldung. Die Gruppe war durch ihre radikalen Ansichten aufgefallen und erhielt daraufhin in einer Moschee ein Hausverbot, während sie sich anschließend in einer anderen regelmäßig traf, ohne dass dort interveniert wurde. Durch die öffentliche Berichterstattung gerieten die Wolfsburger Moscheen in den Fokus und distanzierten sich öffentlich von jeglicher Form von Radikalisierung.

Durch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema „Radikalisierung“ wurde deutlich, dass das Thema auch eigene sozialpädagogische Einrichtungen erreicht hatte. Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Freundinnen und Freunden, Kollegen oder Kolleginnen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern fehlten Kenntnisse über die Anzeichen einer Radikalisierung und die notwendigen Instrumente, um dieser entgegenzuwirken. An vielen Stellen herrschte Ratlosigkeit und Unsicherheit.