Bundeskriminalamt (BKA)

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Aber nicht nur die Kollektivkategorien, sondern auch die durch die Referenzpolitik herausgehobenen Einzelpersonen müssen grundsätzlich und dauerhaft ins Kriminelle, Diabolische oder menschlich Minderwertige abgewertet werden, sodass auch die repräsentativen Einzelbeispiele für verwerfliches Handeln und verderbten Charakter ein Exemplum darstellen und so der Prädikation für die Kollektivkategorie der Fremdgruppe dienen. Dies wird sprachlich mit verschiedenen Mitteln wie Verletzungen, Abwertungen, Beschimpfungen, Beleidigungen oder Stigmatisierungshandlungen geleistet (z. B. durch Stigmawörter, aber auch durch komplexere verbale und visuelle Sinnformeln).

Gleiches gilt für die (aus der Sicht der extremistischen Eigengruppe) Fremd-/Feindgruppe, die ebenfalls grundsätzlich und dauerhaft ins Kriminelle, Diabolische oder menschlich Minderwertige abgewertet werden muss. Besonders schnell gelingt dies, wenn diese Gruppe eine Minderheit und/oder ohnehin bereits stigmatisiert ist.

Sprachlich finden sich hier zum einen die für die Hegemonialgruppe eben beschriebenen Praktiken. Zugleich muss ihre „Bevorzugung“ ebenfalls durch herausgehobene Beispiele in personam herausgestellt werden. Da es sich hierbei oft um Minderheiten handelt, die aufgrund einer langen Ausgrenzungsgeschichte auf der Referenzebene schnell identifizierbar gemacht und auf der Ebene der Prädikation mit entsprechenden Stereotypen belegt wurden, sind diese besonders häufig verbalen und physischen Gewaltattacken ausgesetzt.

Superlativ und Elativ

Im Deutschen können Adjektive in drei Stufen gesteigert werden (schön, schöner, am schönsten). Die dritte Stufe oder Höchststufe heißt „Superlativ“ und „bezeichnet eine Eigenschaft, die im Vergleich mit anderen Objekten im höchsten Maße gegeben ist“.12) Die Höchststufe kann auch ohne Vergleich verwendet werden, um eine Eigenschaft als „in besonders hohem Maße gegeben“13) herauszuheben. Dies nennt man „Elativ“ (mit höchster Konzentration). Hierfür gibt es Ersatzformen wie voll, überaus, total, wahnsinnig, mega, riesen-, hyper-, die dann mit einem entsprechenden Adjektiv kombiniert werden (total schön, mega stolz).14)

Das behauptete Übel, das die Herrschergruppe für die Mehrheit bedeutet, muss an Beispielen (auch in personam) identifizierbar und sichtbar werden. Dabei ist es weniger wichtig, ob den Beispielen reale Ereignisse entsprechen, sondern ob sie in das narrative Muster der jeweiligen Ideologie passen und geeignet sind, (Selbst-)Bestätigung und Empörung im Sinne der bedrohlichen und historisch einmaligen Situationsdefinition (existenzielle Bedrohung) hervorzurufen.

Hier spielen auch sozialpsychologische Momente eine Rolle, die aber an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden können. Insbesondere Karl Mannheims Konzept des irrationalen Spielraums, der sich durch die Rationalisierung der Alltagswelt ergibt, könnte hier eine wichtige Rolle zukommen, ebenso wie der Neo-Tribalismus, der das mythische Denken begünstigt, das sich durch mediale Vernetzung eigenständig und inselhaft ausbreiten kann.

Selbstwirksamkeit: Kampfrhetorik

Wie oben dargestellt, sieht sich die Eigengruppe in einer historisch bedeutsamen Situation, wobei ihr eine Schlüsselrolle im „letzten Kampf“ gegen die Feind- und Hegemonialgruppe und um die Verhinderung der Vernichtung der guten Mehrheit zukommt. Daher spielt grundsätzlich das Kampf- und Kriegsvokabular ein besondere Rolle, häufig in Kombination mit Superlativen und Elativen, welche die historische Bedeutsamkeit und damit auch den Wert der Anhänger der Ideologie aufwerten und ihren Aktionen Sinn verleihen.

Da eine dauerhaft scheiternde und stümperhaft agierende extremistische Eigengruppe kaum geeignet ist, eine Avantgarde zu bilden und ihre Gewalttaten auf Dauer zu rechtfertigen, muss sie den Beweis antreten, es mit den vermeintlichen Feinden nicht nur aufnehmen zu können, sondern ihnen überlegen zu sein. Dies kann durch unterschiedliche kommunikative Handlungen vollzogen werden, z. B. lächerlich machen und verhöhnen, die eigene Überlegenheit oder Unangreifbarkeit behaupten – oder im Kontext einer religiösen Ideologie – einen erfolgreichen Anschlag als Beweis für den Willen des Transzendenten anführen. Insbesondere Islamistinnen und Islamisten nähren den Mythos der Unangreifbarkeit mit dem Hinweis, unter Allahs Schutz zu stehen.

Werden sie dann doch getötet, dann ist es Allahs Wille, allerdings nicht, um den Terror zu stoppen, sondern um die Terroristinnen und Terrorristen als Märtyrerin bzw. Märtyrer im Paradies zu verwöhnen. Interne logische Widersprüche nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zu partialisieren, funktioniert nur durch den narrativen Charakter der Ideologie, im mythischen Heldennarrativ, das in der Lage ist, solche Widersprüche ohne Probleme aufzunehmen und sich damit gegen jedwede Kritik zu immunisieren. Solche Widersprüche und Brüche sind allerdings auch mögliche Ansatzpunkte zum „Aufwachen“ aus der Gefangenheit in einer extremistischen Ideologie.15)

Struktur und Informationen zum Kapitel / Modul

Fussnoten

Literatur

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